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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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muss.«
    »Ja«, sagte Fabian. Beeindruckte sie das etwa? Sah fast so aus. Und da hieß es immer, Mädchen ließe alles, was mit Computern zu tun hat, kalt! Das war seine Chance. Sie war beeindruckt. Das musste er nutzen.
    Ein paar unzusammenhängende Gedanken zischten ihm durchs Hirn, Ideen wie, sie nach ihrem Training zu fragen und ob sie gern an einer Olympiade teilnehmen würde oder zu erzählen, dass er sie beim Sportfest laufen gesehen hatte … Aber passte das, jetzt, wo sie gerade von ihm beeindruckt war?
    Jetzt hieß es, cool zu sein. Er langte nach dem Buch in seiner Tasche, setzte sich, klappte es auf und tat, als lese er. Seine Brust wummerte im Megahertz-Takt, und er sah eigentlich nur verschwommene graue Flecken, aber er schaffte es, die Stirn zu furchen und konzentriert auszusehen.
    »TCP/IP«, hörte er sie sagen. Sie hatte sich vorgebeugt und las den Buchtitel. »Ist auch was mit Computern, schätze ich?«
    »Das ist das Internetprotokoll«, sagte Fabian. »Darüber werden alle Daten weltweit ausgetauscht.«
    »Du kennst dich echt gut aus, was?«
    »Ja«, sagte Fabian. »Stimmt genau.«
    Sie musterte ihn, mit einem irgendwie komischen Blick, nickte und biss sich auf die Lippen. Aber sie sagte nichts mehr, schaute nur umher und wartete, und Fabian tat weiter so, als lese er, aber eigentlich las er immer nur die Kapitelüberschrift: Communication Protocol. Das Buch war in Englisch. Englisch konnte er auch echt gut. Er hatte es sich beibringen müssen, um die wirklich interessanten Sachen lesen zu können.
    Dann kam ihr Bus, sie nickte ihm nochmal zu, sagte aber nicht »Tschüss« oder so was, gar nichts, stieg nur ein und setzte sich auf die gegenüberliegende Seite und fuhr davon. Fabian sah dem Bus nach und hatte das Gefühl, irgendwas versiebt zu haben.
    Und auf einmal wusste er, was er machen würde. Er würde es ihr beweisen. Er würde beweisen, dass er der verdammt noch mal beste Programmierer der Welt war. Er würde den raffiniertesten Computervirus aller Zeiten schreiben. Und würde ihn nach ihr benennen. Amaryllis-Virus. Klang gut.
     
    Fabian hatte sich mit Computerviren bisher nur nebenbei befasst. Natürlich hatte er Material darüber, natürlich kannte er das Grundprinzip. Ein Computervirus ist ein Programm, das sich gewissermaßen heimlich an andere Programme anhängt, wie ein Parasit, und das zunächst vor allem eines tut: sich fortpflanzen. Das heißt, es sucht nach weiteren, noch nicht infizierten Programmen und hängt diesen Kopien seiner selbst an. Erst wenn das erledigt und seine weitere Verbreitung gesichert ist, widmet sich der Computervirus anderen Aufgaben. Manche Viren tun überhaupt nichts. Manche Viren warten bis zu einem bestimmten Datum, um dann eine mehr oder weniger sinnvolle Botschaft auf Bildschirmen erscheinen zu lassen. Und andere Viren schließlich schlagen so schnell wie möglich und so rabiat wie möglich zu – vernichten Daten, blockieren Tastaturen, wüten und zerstören, was ihnen vor die wildgewordenen Bytes kommt.
    Fabian wusste, dass seit dem ersten Auftauchen derartiger Programme in den Achtzigerjahren ein ständiger Wettlauf zwischen Virenprogrammierern und den Entwicklern von Virenschutzsoftware im Gange war. Es gab Virenwächterprogramme, die Tausende von Viren an ihrer Programmsignatur erkannten und Alarm schlugen, wenn ihnen eines unterkam. Es gab Firewalls, also Programme, die verhindern sollten, dass Viren aus dem Internet in Computer eindrangen. Es gab ein ganzes Arsenal von Abwehrtechniken.
    Und immer wieder Programmierer, die allen ein Schnippchen schlugen.
    In den folgenden Wochen durchstöberte Fabian die entlegensten Winkel des Internets, besuchte die obskursten Newsgroups, tauschte, um an Informationen zu kommen, Mails mit Unbekannten, die sich hinter Namen wie WizardOfOz oder CaptainCrackz verbargen. Er zerlegte kleine Programme, die in so gut wie jedem Computer anzufinden waren, in ihre elementaren Programmschritte, versuchte zu verstehen, wie sie funktionierten, und suchte nach einer Schwachstelle, in die er mit seinem geplanten Supervirus einhaken konnte. Schließlich wurde er ausgerechnet bei dem Programm fündig, das Sven erwähnt hatte: der Firmware des weltweit verbreitetsten LCD-Displays. Sie enthielt eine sogenannte trapdoor, eine »Falltüre«, wie man eine geheime, ungeschützte Schnittstelle nennt, die ein Hersteller einbaut, um in Notfällen Zugriff auf das System zu bekommen. Nach und nach schrieb Fabian ein Virenprogramm, das

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