Eine unberührte Welt
erleuchtete Büros, in denen Leute diskutierend oder ratlos dreinblickend vor ihren Computern standen. Manche Ampeln funktionierten, andere blinkten nur. Der Verkehr stockte. Die Straßenbahnen standen an den Haltestellen, manchmal zwei hintereinander, und rührten sich nicht von der Stelle. Der Bus fuhr ein Stück über eine Schnellstraße mit einem Verkehrsleitsystem, dessen Anzeigen plötzlich erloschen, um wirren Mustern in rot und gelb zu weichen.
Fabian wagte kaum zu atmen. Das war alles ein schlechter Traum. Bestimmt würde er gleich erwachen. Ganz bestimmt. Eine Sicherheitsschaltung hatte den Skilift abgeschaltet, sodass der Notarzt auf einen der Helikopter warten musste, die wegen schwerer Verkehrsunfälle alle im Einsatz waren. Als er endlich starten konnte, war es bereits dunkel, und nur dank eines älteren Mannes, der wild gestikulierend in den Lichtkegel des Suchscheinwerfers sprang, gelang es, das verunglückte Mädchen zu finden. Es hatte viel Blut aus einer verletzten Oberschenkelarterie verloren, war bewusstlos, unterkühlt und in kritischem Zustand. Der Notarzt versorgte sie, so schnell es ging, und die Helfer luden sie auf eine Trage.
»Wir bekommen keine Verbindung zum medizinischen System«, rief der Pilot und wies auf einen Computerbildschirm, der verrückt spielte. »Keine Ahnung, welches Krankenhaus Kapazitäten hat.«
»Dann fliegen Sie zum nächstgelegenen«, schrie der Arzt zurück. »Und so schnell wie möglich!«
In der Tagesschau kam es als erste Meldung. Ein neuartiger Computervirus, im Stande, fast alle Sicherheitssysteme zu überwinden, breitete sich mit verheerender Geschwindigkeit über die ganze Welt aus und legte nicht nur normale Computer, sondern auch Telefonnetze, Steuerungsanlagen und Telemetriesysteme lahm. Telefone waren gestört, der E-Mail-Verkehr zum Erliegen gekommen, das Arbeiten in den meisten Büros unmöglich. Flugzeuge mussten notlanden, Züge auf offener Strecke stehenbleiben, die Havarie eines großen Rohöltankers war nur durch Glück verhindert worden. Weltweit stellten Börsen den Handel ein und Banken den Zahlungsverkehr. Bargeldautomaten waren außer Betrieb. Es würde in den kommenden Tagen zu Versorgungsengpässen kommen, weil in Lebensmittellagern die Fördertechnik streikte. In vielen Fabriken weltweit stand die Produktion still. Der Schaden belief sich auf Milliarden von Dollar.
Fabian saß da, hörte alles und hatte das Gefühl, bis in die letzte Zelle seines Körpers zu Eis zu werden. Es kam ihm immer noch vor wie ein Traum, und er war so müde, so furchtbar müde, aber er begriff, dass es kein Traum war, sondern die Wirklichkeit. Etwas, das er angerichtet hatte.
Als es später am Abend klingelte und seine Mutter gleich darauf mit flackernder Panik in der Stimme rief: »Fabian? Kommst du bitte?«, da wusste er, dass es nur die Polizei sein konnte, und war beinahe erleichtert.
Das Gesicht eines Mannes, der einen weißen Kittel trug und weiße Haare hatte, war das Erste, was Amaryllis sah, als sie zu sich kam. Es lächelte wohlwollend, das Gesicht. Vielleicht war doch alles nicht so schlimm, wie es sich anfühlte.
»Sie werden es überstehen, Fräulein Weber«, sagte der Mann mit gemütlich klingendem österreichischem Akzent. »Das Blut, das wir Ihnen geben mussten, war bedauerlicherweise nicht ganz genau die richtige Sorte. Unser Labor war komplett ausgefallen, wissen Sie? Oh, die Blutgruppe hat gestimmt, das können wir alten Ärzte gerade noch von Hand. Aber die ganzen anderen Faktoren, die es da zu beachten gibt … Na ja, wie gesagt, Sie werden es überstehen. Nach so viel Glück, wie Sie trotz allem gehabt haben.«
»Was ist passiert?«
»So genau weiß ich das auch nicht«, sagte der Arzt. »Man könnte allerdings fast glauben, dass es etwas mit Ihnen zu tun hat.« Er zog ein klobiges medizinisches Gerät heran, das mit zwei Kabeln in der Wand steckte, und drehte es so herum, dass sie den Bildschirm sehen konnte.
Amaryllis, ich liebe dich. Fabian war darauf zu lesen, in dicken, klotzigen Buchstaben.
Sie begleiteten ihn bis zur Tür des Krankenzimmers, zwei Beamte in dunklen Mänteln, unter denen sie Pistolen trugen. »Keine Tricks«, sagte der eine, als Fabian die Hand auf die Klinke legte, und die Schwester sagte: »Zehn Minuten. Höchstens.«
Es war ein Einzelzimmer. Amaryllis legte die Zeitschrift weg, in der sie gelesen hatte. »Hallo«, sagte Fabian und nestelte das Papier um die Blumen weg, zu denen Mutter ihm
Weitere Kostenlose Bücher