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Eine unberührte Welt

Eine unberührte Welt

Titel: Eine unberührte Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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von diesen Berührungen aus.
    Anderen bin ich entkommen, dachte Chi’thlox. Diesem nicht. Dieser ist meine Bestimmung.
    Ein Schauder überlief ihn. Plötzlich wünschte er sich, dass es geschehen sollte. Ja – es sollte so sein. Ja. Ja.
    Schwerfällig wälzte er sich herum, bot dem Diak den Rücken dar, erwartete bebend dessen Griff um die Kanten seines Rückenpanzers. Etwas Hartes, Großes berührte seine Shing, und eine fast narkotisierende Lähmung kroch von dort unter die Panzerblätter.
    Ich liebe dich, Thlox.
    Chi’thlox schrie auf. Ein Hieb spaltete ihn in zwei Hälften, ein Strahl glutflüssigen Feuers durchbohrte ihn, und der Schmerz zerriss die ganze Welt. Noch nie hatte er annähernd so Furchtbares empfunden. Er flehte, er wand sich, er tobte und er winselte, aber der Griff seines Peinigers war fest und unnachgiebig. Er versuchte zu entkommen, zu fliehen, schrie um Hilfe, während ihm jedes Organ im Körper zerfetzt wurde, doch irgendwann erlahmten seine Kräfte, und sein Schreien erstarb. Er verlor erst das Bewusstsein, als der Diak von ihm abließ und ihn achtlos in die Tiefe warf, eine einzige offene Wunde.
     
    Er kam dort zu sich, wo ein Jeng nicht mehr tiefer gelangen kann. Das Innere seines Körpers brannte, als er sich auf den mühsamen Weg zurück nach oben machte, zurück zu den Nestern. Mehrmals wurde ihm schwindlig, und er musste innehalten.
    Seine Gedanken waren wie in Wolken gehüllt. Er hatte nur den Wunsch, sich in sein Nest zu verkriechen und Ruhe zu finden, bis der Schmerz nachließ. Nur Ruhe …
    Aber als er endlich aus den dunklen Tiefen emporgelangt war, begegnete ihm Nere’thlox, der natürlich sofort erkannte, dass Chi’thlox shir war.
    Der Diak?
    Was konnte er entgegnen? Was, das nicht unschicklich gewesen wäre? So begnügte er sich mit Zustimmung und glitt an dem jungen Thlox vorüber.
    Später, viel später, als der Schmerz einer dumpfen Taubheit gewichen war, brachten ihm einige des Stammes Nahrung. Si’thlox war darunter.
    Chi’thlox, ich soll dir von der Versammlung ausrichten, dass wir nun, da du deine Bestimmung gefunden hast, alle sehr stolz sind auf dich. Es gibt Zeiten der Freude im Leben – wer wüsste das besser als du? –, und genauso muss es Zeiten des Schmerzes geben. Aber wenn der Schmerz vorbeigeht, wirst du deine Bestimmung erfüllen und das Ziel erreichen, das unser aller letztes Ziel ist.
    Chi’thlox dankte ihm, wie es der Sitte entsprach, und war froh, als sie ihn wieder verließen. Bald konnte er die Kinder spüren, die in seinem Leib heranwuchsen. Erst zählte er fünf, dann aber fand er noch eine sechste, kleinere Auswölbung.
    In dem Maße, wie sie wuchsen, wurde er immer schwerer. Zuerst gelangte er nicht mehr über die Wipfel hinaus, später musste er sein Nest aufgeben und in ein tiefergelegenes umziehen.
    Die übrigen Thlox begegneten ihm mit Respekt. Sie versorgten ihn mit Nahrung und besuchten ihn, um ihm die Geschichten vom Versammlungsplatz zu erzählen, den er nun nicht mehr zu erreichen im Stande war. Er spürte, dass einige ihn am liebsten gefragt hätten, wie er sich fühle, wenn das nicht ein grober Verstoß gegen die Sitten gewesen wäre und eine Beleidigung für ihn. Nur – er hätte er es ihnen so gern erzählt. Ihnen geschildert, wie es wirklich war. Alle achteten ihn als einen Jeng, der seine Bestimmung erfüllte, der das Ziel seines Lebens erreicht hatte – aber er fühlte sich überhaupt nicht so, wie von ihm erwartet wurde. Er hätte sein Ziel viel lieber noch eine Weile verfehlt, wäre seiner Bestimmung viel lieber noch etwas ausgewichen. Wenn er träumte, dann davon, noch einmal über den Wipfeln zu schweben, noch einmal den Tanz der Himmelslichter im unermesslichen Dunst zu verfolgen.
    Irgendwann wurde er zu schwer für alle Nester, und er musste hinab in die Tiefe, wo das Gebärlager war. Das befand sich in Abgründen, die einem Jeng, der nicht shir war, unzugänglich blieb, und so gab es nur Erzählungen darüber.
    Er war entsetzt, als er dort ankam. Mit dem, was er gehört hatte, konnte dieser Platz nichts zu tun haben. Das Gebärlager war klein und schmutzig, und er musste es erst mühsam an einigen Stellen flicken, ehe er eine stabile Ruhestatt fand. Er war auch nicht mehr im Stande, sich andere Nahrung als Luftplankton zu beschaffen, dazu war er zu schwerfällig und unbeweglich geworden. Die letzte Zeit schließlich lag er nur noch da und wartete.
    Den Vorgang der Geburt bemerkte er kaum. Plötzlich waren da sechs

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