Eine Unheilvolle Liebe
andauern kann. Dann hatte ich sie weggeworfen. Auch das war gut so.
Mein Vater ging zu dem Bild und betrachtete es, als sähe er es zum ersten Mal. »Den Burschen habe ich schon lange nicht mehr gesehen.«
Ich war so froh über den Themenwechsel, dass die Worte nur so aus mir heraussprudelten. »Ich hab es aufgehängt. Ich hoffe, es ist dir recht. Ich finde, es gehört hier draußen hin und nicht unter ein altes Bettlaken.«
Eine Weile musterte mein Vater den Soldaten in der Südstaaten-Uniform, der nicht viel älter aussah als ich. »Das Porträt war immer von einem Tuch verhängt, schon als ich noch ein Junge gewesen war. Meine Großeltern sprachen kaum darüber, aber ich wusste, dass sie kein Bild eines Deserteurs an der Wand hängen haben wollten. Nachdem ich das Haus geerbt hatte, habe ich das Bild auf dem Speicher gefunden und es ins Arbeitszimmer gebracht.«
»Warum hast du es nicht aufgehängt?« Was für eine seltsame Vorstellung, dass auch mein Vater als Kind neugierig auf das verhüllte Porträt gestarrt hatte.
»Ich weiß es selbst nicht. Deine Mutter wollte, dass ich es aufhänge. Ihr gefiel die Geschichte von Ethan Carter Wate – wie er dem Krieg entschlossen den Rücken kehrte, auch wenn es ihn schließlich das Leben kosten sollte. Ich wollte es auch wirklich aufhängen. Aber ich hatte mich so daran gewöhnt, dass es abgedeckt war. Und ehe ich dazu kam, ist deine Mutter gestorben.« Er fuhr mit der Hand über die Unterseite des geschnitzten Rahmens. »Du bist nach ihm benannt, weißt du das?«
»Ja, ich weiß.«
Mein Vater blickte mich an. »Sie hat das Bild geliebt. Ich bin froh, dass du es aufgehängt hast. Er gehört hierher.«
Ich konnte weder Ammas Hähnchen noch ihren vorwurfsvollen Blicken entgehen. Also fuhr ich nach dem Essen mit Link in der Nachbarschaft der Schwestern durch die Straßen und suchte Lucille. Link nagte an einem Hähnchenschenkel, der in eine fettige Papierserviette eingewickelt war, und rief zwischendurch ihren Namen. Jedes Mal wenn er sich mit der Hand durch sein stacheliges blondes Haar fuhr, glänzte es ein bisschen fettiger.
»Du hättest noch mehr Hähnchen mitbringen sollen. Katzen sind total verrückt danach. Sie fressen ja auch Vögel.« Link fuhr langsamer als sonst, damit ich nach Lucille Ausschau halten konnte, während er den Takt von »Love Biscuit«, dem entsetzlichen neuen Song seiner Band, auf dem Lenkrad mitklopfte.
»Ach ja? Und dann würden wir durch die Gegend kutschieren, während ich Hähnchenschenkel zum Fenster raushalte?« Link war so einfach zu durchschauen. »Du alter Gierhals willst einfach nur mehr von Ammas Hähnchen.«
»Woher du das nur weißt. Und Coca-Cola-Kuchen.« Er hielt den Hähnchenschenkel aus dem Fenster. »Komm, Miez, Miez …«
Ich suchte den Gehweg nach einer Siamkatze ab, aber dann erregte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. Eine Mondsichel. Sie war auf einem Nummernschild abgebildet, rechts und links daneben klebten auf der Stoßstange die Stars and Bars, die Flagge der Konföderierten, und ein Aufkleber von Bubba’s Truck and Trailer. Es war ein Nummernschild von South Carolina mit dem Staatswappen, wie ich es schon tausendmal gesehen hatte. Es zeigte eine blaue Palme und eine Mondsichel, vielleicht war es sogar ein Caster-Mond. Was eindeutig bewies: Caster gab es in diesem Land schon sehr, sehr lange.
»Der Ausreißer ist dümmer, als ich dachte, wenn er sich nicht mal von Ammas Brathähnchen anlocken lässt.«
»Sie. Lucille Ball ist ein Mädchen.«
»Katze ist Katze.« Link bog mit Schwung auf die Hauptstraße ab. Am Randstein saß Boo Radley und sah zu, wie die Schrottkiste vorbeifuhr. Er wedelte mit dem Schwanz, ein Mal, zum Zeichen, dass er uns erkannt hatte. Er war der einsamste Hund der Welt.
Link räusperte sich. »Wo wir gerade von Mädchen sprechen. Wie steht’s mit Lena?« Er hatte sie in letzter Zeit nicht oft zu Gesicht gekriegt, aber immer noch häufiger als die meisten anderen Leute. Lena verbrachte ihre Zeit in Ravenwood unter den wachsamen Blicken von Gramma und Tante Del. Oder sie entzog sich deren wachsamen Blicken, je nachdem.
»Ihr geht’s den Umständen entsprechend.« Das war nicht mal gelogen.
»Echt? Ich finde, sie hat sich verändert. Sogar für ihre Verhältnisse.« Link war einer der wenigen in der Stadt, die Lenas Geheimnis kannten.
»Ihr Onkel ist gestorben. Das geht nicht spurlos an einem vorüber.« Link hätte das am besten wissen müssen. Er hatte ja selbst miterlebt, wie
Weitere Kostenlose Bücher