Eine Unheilvolle Liebe
ich versucht hatte, mich mit dem Tod meiner Mutter, mit einer Welt ohne sie abzufinden. Er wusste, wie aussichtslos das war.
»Ja, aber sie spricht kaum noch und sie trägt seine Klamotten. Findest du das nicht auch ein bisschen seltsam?«
»Ihr geht’s gut.«
»Wenn du das sagst, Mann.«
»Fahr einfach weiter. Wir müssen Lucille suchen.« Ich sah aus dem Fenster auf die leere Straße. »Blöde Katze.«
Link zuckte mit den Schultern und drehte die Lautstärke auf. Seine Band, die Holy Rollers, dröhnte aus den Lautsprechern: »The girl’s gone away.« Ein Junge, der bei einem Mädchen abblitzte, darum drehte sich jeder Song, den Link schrieb. Das war seine Art, sich mit den Tatsachen abzufinden. Meine hatte ich noch nicht gefunden.
Lucille blieb spurlos verschwunden, aber viel mehr als die streunende Katze machten mir die Gespräche mit Link und meinem Vater zu schaffen. Unser Haus war still, nicht gerade der Idealzustand, wenn man vor seinen eigenen Gedanken davonlaufen wollte. Das Fenster in meinem Zimmer stand offen, die Luft war heiß und drückend, wie alles andere an diesem Tag auch.
Link hatte recht. Lena benahm sich seltsam. Aber erst seit einigen Monaten. Sie würde irgendwann damit aufhören und dann würde alles wieder sein wie früher.
Ich durchwühlte die Stapel von Büchern und Papieren auf meinem Schreibtisch auf der Suche nach Per Anhalter durch die Galaxis , dem Buch, zu dem ich immer griff, wenn ich auf andere Gedanken kommen wollte. Aber unter einem Stapel alter Sandman- Comics fand ich etwas ganz anderes: ein verschnürtes Päckchen, eingewickelt in das braune Papier, das Marian immer verwendete. Allerdings fehlte der Bibliotheksstempel.
Marian war die älteste Freundin meiner Mutter und die Leiterin der Stadtbibliothek von Gatlin. Aber sie war auch eine Hüterin – eine Sterbliche, die die Geheimnisse und die Überlieferungen der Caster-Welt bewahrte und in ihrem Fall auch die Lunae Libri , eine Caster-Bibliothek, die eine eigene geheimnisvolle Welt für sich war. Sie hatte mir das Päckchen nach Macons Tod gegeben, aber ich hatte es völlig vergessen. Es war sein Tagebuch; Marian hatte gedacht, Lena würde es vielleicht haben wollen. Aber da hatte sie sich geirrt. Lena wollte es weder sehen noch behalten. Sie wollte das Buch nicht einmal in Ravenwood haben. »Nimm du es«, hatte sie gesagt. »Ich kann es nicht ertragen, seine Handschrift zu sehen.« Seitdem verstaubte es auf meinem Schreibtisch.
Ich drehte es hin und her. Es war schwer, fast zu schwer für ein Buch. Ich fragte mich, wie es wohl aussehen mochte. Wahrscheinlich war es alt, in rissiges Leder gebunden. Ich löste die Schnur und packte es aus. Ich wollte es nicht lesen, nur anschauen. Aber als ich das Papier entfernt hatte, sah ich, dass es gar kein Buch war, sondern eine schwarze Holzschachtel, in die komplizierte Caster-Symbole geritzt waren.
Ich strich mit der Hand darüber und fragte mich, was Macon wohl geschrieben hatte. Dass er wie Lena Gedichte verfasst hatte, konnte ich mir nicht vorstellen. Wahrscheinlich waren es Notizen über Gartenbau oder Ähnliches. Vorsichtig öffnete ich den Deckel. Ich verspürte den Wunsch, etwas zu sehen, das Macon Tag für Tag berührt hatte, etwas, das ihm wichtig gewesen war.
Die Schachtel war mit schwarzem Satin ausgeschlagen. Die Seiten, die darin lagen, waren lose und vergilbt und voll geschrieben mit Macons gestochen scharfer Handschrift. Ich berührte ein Blatt mit dem Zeigefinger. Im selben Moment begann sich alles um mich zu drehen, und ich spürte, wie ich nach vorne kippte. Der Fußboden kam immer näher, aber ich schlug nicht auf, sondern stürzte durch den Boden hindurch und fand mich in einer dichten Rauchwolke wieder …
Entlang des Flusses stand alles in Flammen, was von den Plantagen noch übrig geblieben war. Greenbrier war von den Feuern fast eingeschlossen. Als Nächstes würde Ravenwood brennen. Wahrscheinlich hatten die Truppen der Union eine Gefechtspause eingelegt, trunken von ihrem Sieg und dem Whiskey, den sie in den Häusern der Wohlhabenden von Gatlin erplündert hatten.
Abraham blieb nicht viel Zeit. Die Soldaten waren im Anmarsch und er würde sie töten müssen. Es gab keine andere Möglichkeit, Ravenwood zu retten. Sterbliche hatten keine Chance gegen ihn, nicht einmal wenn sie Soldaten waren. Gegen einen Inkubus konnten sie nichts ausrichten. Und falls sein Bruder Jonah doch noch aus den unterirdischen Gängen zurückkommen sollte, würden sie
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