Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Unheilvolle Liebe

Eine Unheilvolle Liebe

Titel: Eine Unheilvolle Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kami Garcia
Vom Netzwerk:
sämtliche Gatliner auf einem Fleck antreffen. Als wir auf dem Friedhof ankamen, wimmelte es dort bereits von Leuten. Den Schwestern sei Dank, kamen wir wie üblich zu spät. Zuerst hatte Lucille um nichts auf der Welt in den Cadillac einsteigen wollen, dann mussten wir noch einen Abstecher zum Garten Eden machen, denn Tante Prue wollte Blumen für alle ihre verstorbenen Ehemänner kaufen, aber keiner der fertigen Sträuße war gut genug für sie. Als wir schließlich alle wieder im Wagen saßen, erlaubte es mir Tante Mercy nicht, schneller als zwanzig Meilen die Stunde zu fahren. Mir hatte schon seit Monaten vor diesem Tag gegraut. Nun war er da.
    Ich kämpfte mich den steilen Kiesweg zum Garten des Immerwährenden Friedens hinauf und schob Tante Mercy in ihrem Rollstuhl vor mir her. Dann kam Thelma, an einem Arm Tante Prue, am anderen Tante Grace. Lucille folgte uns, suchte sich ihren Weg über die Kieselsteine und war ansonsten sorgsam darauf bedacht, uns nicht zu nahe zu kommen. Tante Mercys Lackledertasche baumelte am Handgriff ihres Rollstuhls und traf mich bei jedem zweiten Schritt in die Magengegend. Bestimmt würde sich der Rollstuhl am Ende des Kieswegs im hohen feuchten Gras festfahren. Allein bei dem Gedanken kam ich ins Schwitzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Link und ich Tante Mercy irgendwann im Feuerwehrgriff davontragen mussten, war ziemlich groß.
    Wir kamen gerade rechtzeitig oben an, um mitzuerleben, wie sich Emily in ihrem schulterfreien Kleid in Szene setzte. Zu Allerseelen bekam jedes Mädchen ein neues Kleid. Da sah man weder Jeansminis noch Tanktops, sondern den allerbesten Sonntagsstaat. Es war wie ein großes Familientreffen, nur dass zehnmal mehr Leute da waren, denn so ziemlich die ganze Stadt, ja sogar der größte Teil des Bezirks war irgendwie miteinander verwandt – wenn nicht mit einem selbst, dann mit dem Nachbarn oder dem Nachbarn des Nachbarn.
    Emily kicherte albern und klebte an Emory dran. »Hast du Bier mitgebracht?«
    Emory schlug seine Jacke zurück und zeigte ihr einen silbernen Flachmann. »Was viel Besseres.«
    Eden, Charlotte und Savannah hielten in der Nähe des Familiengrabs der Snows Hof. Es nahm in der langen Reihe von Grabmalen natürlich einen Sonderplatz ein und war überladen mit grellbunten Plastikblumen und kitschigen Engeln. Sie hatten sogar ein kleines Plastik-Rehkitz aufgestellt, das neben dem Grabstein Gras knabberte. Das Gräberschmücken war ein weiterer Wettbewerb in Gatlin, bei dem man beweisen konnte, dass die eigene Familie, ob tot oder lebendig, besser war als die Nachbarn und deren Verstorbene. Deshalb ließen sich die Leute auch so einiges einfallen, es gab Plastikkränze mit grünen Nylon-Ranken, glitzernde Hasen und Eichhörnchen, ja sogar Vogeltränken, alles so aufgeheizt von der Sonne, dass man sich beim Berühren Blasen an den Fingern holte. Es gab praktisch nichts, was zu übertrieben gewesen wäre, je kitschiger, desto besser, lautete die Devise.
    Meine Mutter hatte immer ihren Spaß gehabt und einige Stücke zu ihrem Lieblingskitsch erkoren. »Es sind richtige Stillleben, Kunstwerke wie die Gemälde alter holländischer und flämischer Meister, nur eben aus Plastik. Die Absicht dahinter ist jedoch die gleiche.« Sie konnte über die übelsten Gebräuche in Gatlin spotten, aber die besten achtete sie. Vielleicht hatte ihr das geholfen, hier zu überleben.
    Besonders gefallen hatten ihr die phosphoreszierenden Kreuze, die nachts leuchteten. An manchen Sommerabenden saßen wir auf dem Friedhofshügel und sahen zu, wie sie mit dem Einsetzen der Dunkelheit allmählich erstrahlten wie Sterne. Einmal hatte ich meine Mutter gefragt, warum sie so gerne hier draußen war. »Weil es Geschichte ist, Ethan«, hatte sie geantwortet. »Die Geschichte von Familien, von Menschen, die sie geliebt oder verloren haben. Diese Kreuze, diese albernen Plastikblumen und Tiere, sie wurden aufgestellt, damit wir uns an die erinnern, die uns fehlen. Das ist schön, und es ist unsere Aufgabe, die Erinnerung daran wach zu halten.« Meinem Vater hatten wir nie von diesen Abenden auf dem Friedhof erzählt. Es war etwas, das nur uns beiden gehörte.
    Ich musste an den meisten meiner Mitschüler von der Jackson High vorbei und über den einen oder anderen Plastikhasen steigen, um zum Familiengrab der Wates am Rand des Friedhofs zu gelangen. Das war die Kehrseite des Allerseelentages und mit Gedenken hatte das nicht mehr viel zu tun. In spätestens einer Stunde würde

Weitere Kostenlose Bücher