Eine Urwaldgöttin darf nicht weinen
und Leben strotzende Wald. Er hielt Gloria umklammert, und an ihm würde sie früher oder später ersticken.
Ich muß hinunter, dachte sie. Ich muß mich ganz vorsichtig bewegen und versuchen einen festen Ast zu fassen, bevor ich aus diesem schaukelnden, grünen Bett herausfalle.
Sie biß die Zähne zusammen, spannte die Muskeln an und dachte nichts anderes als: Jetzt! Jetzt! Jetzt! Dann schnellte sie nach vorn, krallte die Finger um einen grünen, glitschigen Ast, rutschte von ihm ab, fiel zwei Meter durch ein Gewirr von Zweigen, die ihren Fall federnd verzögerten, und konnte dann den dicken, ausladenden Ast packen, auf den sie fiel.
Neben ihr, in gleicher Höhe, zum Greifen nahe, stak der aufgespießte Pflanzer. Erst jetzt sah sie, daß sein Gesicht verbrannt war, ein schwärzliches Etwas, zerklüftete Kohle. Aber dieser grauenhafte Anblick weckte in ihr auch die letzte Kraft, den Willen zum Überleben. Sie kletterte weiter, erreichte den Boden und fiel erschöpft in ein Büschel Riesenfarne. Dort blieb sie liegen, wälzte sich auf den Rücken und atmete stoßweise wie ein Erstickender.
Hier unten roch es weniger nach Verwesung, aber um so mehr nach Benzin. Beim Aufprall war der zweite Tank geplatzt und hatte den Treibstoff weithin versprüht. Kroch das Feuer von dem brennenden Motor weiter, würde gleich das ganze Waldstück brennen? Gloria sprang auf und flüchtete aus der Nähe des Motors. Sie rannte hinüber zu dem aufgeplatzten Rumpf, an dem, zur Seite geknickt, die Pilotenkanzel hing. Mein Gott, dachte sie. Wo sind die anderen? Schwester Rudolpha, Pater Juan, der Ingenieur, Hellmut Peters, die Mestizen. Sie blieb ein paar Meter vor dem Rumpf stehen, versteckte sich hinter einem dicken Baum und starrte auf die Trümmer.
»Ist da noch jemand?« rief sie. Ihre helle Stimme war so klar in der Einsamkeit, daß sie selbst davor zusammenzuckte. Ein buntgefiederter Vogel strich neugierig und lautlos um den Flugzeugrumpf, wippte dann merkwürdig in der Luft auf und nieder und flog ebenso lautlos noch tiefer in den Wald.
Langsam ging Gloria weiter. Neben einem Teil des Höhenruders lagen die zwei Mestizen. Sie hielten sich umklammert, und ihre zerschmetterten Körper waren zusammengedrückt wie zu einem Leib. Einen Meter weiter lang der spanische Ingenieur, verkohlt bis zur Brust, aber mit einem völlig unverletzten Gesicht, in dem der grauenhafte Schmerz versteinert war. Und dann sah sie Schwester Rudolpha. Sie lag an einem Baum, das klösterliche Gewand aufgeschlitzt, die rechte Schulter blutete. Sie blutet, durchfuhr es Gloria. Ein Mensch, dessen Blut noch fließt, lebt. Sie fiel auf die Knie, riß den Stoff von der Schulter und schüttelte den Kopf der Schwester.
»Schwester Rudolpha!« rief sie dabei. »Schwester Rudolpha! Wachen Sie doch auf! Schwester …«
»Sie schütteln gut –«, sagte eine erschöpfte Stimme hinter ihr. »Sie haben eine Begabung zum Barmixer.«
Gloria fuhr herum. Hellmut Peters stand auf der vom Flugzeug gerissenen Lichtung, rußgeschwärzt, auf einen Knüppel gestützt, um den Kopf einen durchgebluteten Lappen gedreht. Sein Anzug war zerfetzt, das linke Hosenbein fehlte; er hatte es abgerissen und damit seinen linken Arm verbunden. Er lächelte Gloria müde an und humpelte mühsam näher.
»Großer Gott, Sie leben auch!« sagte er.
Gloria drückte Schwester Rudolphas Kopf an sich. »Wo kommen Sie denn her?« fragte sie. »Wieso laufen Sie herum?«
»Ich habe Sie gesucht, Gloria. Seit vier Stunden suche ich Sie.« Er setzte sich erschöpft auf die Erde und legte den linken Arm vorsichtig auf seinen Oberschenkel. »Als wir in die Bäume stießen, verlor ich kurz die Besinnung. Dann wachte ich auf, lag ziemlich unversehrt neben dem Rumpf und machte mich sofort auf, mich um Sie zu kümmern. Aber Sie waren weg. Alle waren da, bis auf Sie und den dicken Pflanzer.«
»Er steckt auf einem Ast … da oben …«, sagte Gloria leise.
»Da bin ich herumgelaufen und habe alles abgesucht. Ich habe so oft Ihren Namen gerufen, bis ich fast wahnsinnig wurde. Und nun sind Sie da … das ist wunderschön …«
»Die anderen …«, sagte Gloria tonlos.
»Alle tot bis auf uns, Schwester Rudolpha und Pater Juan. Aber die Sache ist hoffnungslos. Ich habe ihn wieder in den Flugzeugrumpf getragen. Er ist zu vier Fünftel verbrannt. Er wird die Nacht nicht überleben.«
Sie schwiegen. Schwester Rudolpha bewegte sich etwas, seufzte tief und erschlaffte dann wieder.
»Wir müssen sehen, was uns
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