Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
Vielleicht kann Franny auf Haley aufpassen …«
»Wir wissen nicht, wo er ist, Anne«, sagte Willa. »Er ist verschwunden.«
»Verschwunden? Wie soll er denn verschwinden? Er ist ein Kind und hat weder Geld noch ein Zuhause.«
»Bei dem Chaos hat niemand auf ihn geachtet. Das Personal hatte mit den Verletzten alle Hände voll zu tun. Er ist abgehauen.«
Das Gelände um die Klinik war nicht abgeriegelt. Jeder konnte kommen und gehen, wie es ihm passte. Selbst die Patienten – wenn sie nicht gerade in der Geschlossenen saßen – konnten das Gelände einfach verlassen, was sie gelegentlich auch taten. Normalerweise war der Empfang ständig besetzt, aber es musste zu dem Zeitpunkt ein Riesendurcheinander geherrscht haben.
Dennis hatte eine Frau getötet. Jetzt würde er über sich selbst in der Zeitung lesen können.
»Daran bin nur ich schuld«, sagte Anne.
Willa streckte die Hand über den Tisch und legte sie auf Annes Arm. »Nein, das stimmt nicht. Sie haben mehr für dieses Kind getan als irgendjemand sonst.«
»Ich habe es gestern versäumt, ihn zu besuchen. Ich hatte ihm versprochen, zu kommen und ihm etwas mitzubringen, wenn er seine Hausaufgaben gemacht hat.«
»Deswegen darf er noch lange keine Klinik in Brand stecken.«
»Bislang haben ihn alle Menschen in seinem Leben enttäuscht. Wenigstens ich hätte das nicht tun dürfen.« Sie schüttelte den Kopf und stieß einen leisen Fluch aus. Ihre Gedanken drehten sich wie ein Kaleidoskop. »Was geschieht jetzt?«
»Das Büro des Sheriffs ist informiert. Die suchen ihn. Ich glaube nicht, dass Sie etwas unternehmen sollten.«
»Ja«, Anne seufzte. »Ich habe schon genug angerichtet, oder? Das Gericht wollte ihn gleich nach dem Vorfall letztes Jahr in einer Jugendstrafanstalt unterbringen. Ich habe so sehr darum gekämpft, dass das nicht geschieht.«
»Sie haben getan, was Sie für das Beste für den Jungen hielten, Anne. Mehr ist nicht möglich.«
»Jetzt wird er ganz sicher in einer Strafanstalt landen.« »Das lässt sich wohl nicht verhindern.«
»Nein.«
»Sie haben getan, was Sie konnten, Mädchen«, wiederholte Willa und drückte ihre Hand.
»Ich weiß«, sagte Anne. »Ich wünschte nur, es wäre zu etwas nutze gewesen.«
Dennis war die ganze Nacht lang gelaufen, zumindest war es ihm so vorgekommen, bis er endlich das Haus erreichte, in dem er einmal gewohnt hatte. Keiner hatte ihn gesehen, darin war er Meister. Früher war er nächtelang durch die Stadt gestreift, hatte in die Fenster fremder Häuser geguckt und zugeschaut, wie die Leute Sex machten und solches Zeug. Einmal hatte er gesehen, wie ein Mann eine aufblasbare Puppe fickte. Das war ganz schön durchgeknallt gewesen.
Er hatte keine Ahnung, was mit dem Haus seiner Familie und den Möbeln passiert war. Nachdem seine beiden Eltern tot waren und ihn das Gericht in eine Irrenanstalt gesteckt hatte, waren seine doofen Halbschwestern zu irgendwelchen Verwandten gezogen, die nichts mit ihm zu tun haben wollten.
Ha! Die würden Augen machen, wenn sie sein Foto in der Zeitung sahen.
Als Dennis endlich vor dem Haus stand, bekam er einen Schreck, weil man praktisch alles herausgerissen hatte – sogar Wände und Böden. In der Einfahrt stand ein riesiger Container, der voller Schutt war, Rigips, Stücke von abgetretenem Linoleum, eine kaputte Kloschüssel.
Dennis stellte fest, dass es ihm eigentlich nichts ausmachte, dass die Sachen seiner Familie weg waren. Es war sowieso nur Ramsch gewesen. Und die meisten der Schätze, die er besessen hatte, waren in dem Rucksack gewesen, den ihm die Detectives weggenommen hatten. Die guten Sachen hatten sie wahrscheinlich unter sich aufgeteilt – das Taschenmesser aus der Schublade seines Vaters und das Feuerzeug, das er aus der Handtasche seiner Mutter geklaut hatte. Den eingetrockneten Schlangenkopf hatte wahrscheinlich keiner gewollt.
Ohne Decken und Matratze war ihm die Nacht über ziemlich kalt gewesen in dem Haus, aber da er jetzt ein Ausgestoßener war, musste er sich mit solchen Dingen abfinden. Heute würde er sich das Nötigste zusammenklauen und es irgendwo verstecken. Er hatte gehört, dass sich im Oakwoods Park Obdachlose herumtrieben. Vielleicht würde er dorthin gehen.
Als es hell wurde, ging er aber erst mal zum Gemischtwarenladen und drückte sich selbst die Daumen, dass der stinkende alte Turbanträger, dem der Laden gehörte, nicht da war. Er hatte Dennis schon eine Million Mal aus dem Laden gejagt, weil er etwas geklaut oder
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