Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
jetzt auch ein Engel?«
»Nein, Schätzchen«, flüsterte Anne. »Ich bin kein Engel.«
»Du bist hingefallen«, sagte Haley, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Der Junge hat dich umgeschmissen!«
»Aber jetzt geht es mir wieder gut, Schätzchen, und der Junge wird nie wieder in unser Haus kommen.«
»Er ist gemein, wie der böse Daddy!«, sagte Haley, und die Angst in ihren Augen und ihrer Stimme wurde immer größer. Sie fing an zu schluchzen. Sie richtete sich auf den Knien auf, streckte die Arme nach Anne aus, und Anne zog sie an sich.
»Hat das der böse Daddy mit deiner Mommy gemacht?«, fragte Anne und hasste sich dafür.
Haley nickte an ihrer Schulter, schluchzte noch lauter, wurde wieder von Hysterie erfasst. »Der böse Daddy hat meine Mommy umgeschmissen, und er hat sie gehauen und gehauen und gehauen!«
»Es tut mir ja so leid, Schätzchen. Es tut mir leid, dass du das sehen musstest. Du hast sicher schreckliche Angst gehabt.« Anne hielt das kleine Mädchen in den Armen, während die Erinnerung an diese entsetzliche Nacht noch einmal wie eine große schwarze Welle über Haley hinwegrollte. Anne konnte die Szene vor sich sehen – die schwarze Gestalt, die Marissa Fordham zu Boden warf, der Arm, der sich hob und senkte, als der Mörder ihr wieder und wieder das Messer in den Leib stieß.
»Hattest du Angst, Schätzchen?«
Haley nickte schluchzend. »I-ich h-hab mich v-versteckt!«
»Das war eine gute Idee«, sagte Anne.
»A-aber dann hab i-ich nein gerufen!«, schluchzte Haley. »Ich hab gerufen, ›nein, nein, tu meiner Mommy nicht weh!‹«
Mein Gott, dachte Anne. Sie konnte sich vorstellen, wie Haley aus ihrem Versteck kam und zu ihrer Mutter lief. Hatte sie das Gesicht des Mörders sehen können, oder war es dafür zu dunkel gewesen? War er jemand, den sie kannte und dem sie vertraute oder ein Fremder, den sie nie zuvor gesehen hatte?
»Hat der böse Daddy etwas zu dir gesagt?«, fragte sie.
»Nein!«, jammerte Haley. »Ich will zu meiner Mommy!«
In diesem Moment setzte die Trauer ein, brach heulend aus ihr heraus wie ein wildes Tier. Anne drückte sie fest an sich und wiegte sie hin und her, versuchte ihr so viel Trost wie möglich zu geben. Als eine Schwester den Kopf ins Zimmer steckte und fragte, ob sie Hilfe brauche, schüttelte sie den Kopf. Es dauerte nicht lange. Schon bald war Haleys Kraft erschöpft, und sie hörte auf zu schluchzen und ließ sich gegen Anne sinken. Anne flüsterte ihr beruhigende Worte zu, streichelte ihr über den Kopf und sagte ihr, sie sei in Sicherheit, was ihr in Anbetracht des Vorfalls mit Dennis wie eine schäbige Lüge vorkam.
Es würde lange dauern, bis Haley sich wieder sicher fühlen würde … und sie auch. Es schien, als wäre ihr bisheriger Kampf gegen die Folgen des Überfalls im letzten Jahr vergeblich gewesen, und sie fühlte sich zurückgeworfen in einen langen finsteren Tunnel. Bei diesem Gedanken überkam sie eine so tiefe Verzweiflung, dass sie nichts wollte, außer sich hinlegen und in den Schlaf flüchten, in der Hoffnung, dass ihr die Alpträume nicht dahin folgten.
85
»Seit wann sind Sie mit Darren Bordain befreundet?«, fragte Mendez.
Zum ersten Mal, seit er Mark Foster kennengelernt hatte, sah er die Fassade des Mannes bröckeln.
»Nicht schon wieder«, sagte Foster, schloss die Augen und stieß einen Seufzer aus. »Darren hat Marissa nicht umgebracht.«
»Danach habe ich nicht gefragt.«
»Ich kenne Darren seit fünf oder sechs Jahren.«
»Und wie lange sind Sie zusammen?«
»Wie zusammen?«
»Seit wann sind Sie ein Liebespaar?«
»Mein Gott.« Er sah Hicks an. »Und deswegen haben Sie mich hierhergeschleppt? Was geht eigentlich in Ihren Köpfen vor? Was gefällt Ihnen so gut an der Idee, dass ich schwul bin? Ich bin nicht schwul – nicht, dass das irgendjemanden etwas anginge. Darren ist nicht schwul. Und könnten Sie sich vielleicht mal entscheiden? Zuerst halten Sie ihn für Haleys Vater, und jetzt denken Sie, er ist schwul? Was würde das überhaupt für eine Rolle spielen? Wenn er schwul wäre, hätte er nun wirklich keinen Grund, Marissa umzubringen.«
»Doch, wenn er verhindern wollte, dass sie sein kleines Geheimnis herumposaunt«, sagte Mendez. »Ich glaube, das wäre ihm einiges wert.«
»Sie kennen seine Mutter«, sagte Hicks. »Wie würde sie auf eine solche Neuigkeit reagieren?«
»Keine Ahnung.«
»Sie haben uns erzählt, dass Sie sie sogar ziemlich gut kennen«, sagte Mendez. »Ich kenne
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