Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
und ihm fiel immer etwas ein, wie er sie von ihren Sorgen ablenken konnte.
Er war das vierzehnte von fünfzehn Kindern einer irisch-katholischen Familie aus Boston, hatte einen messerscharfen Verstand und ein großes Herz und war letztes Frühjahr vierzig geworden, was er mit einem schrillen Kostümfest unter dem Motto Franival! gefeiert hatte.
Er hatte einen beeindruckenden Lebenslauf, mit Anstellungen in erstklassigen privaten und öffentlichen Einrichtungen an der Ostküste, bevor er nach Kalifornien gezogen war.
Obwohl er seinen Beruf wirklich liebte und gleichermaßen gut mit Kindern wie mit deren Eltern umgehen konnte, erklärte er gern, die Arbeit im Kindergarten habe ihn zum Trinker gemacht und lasse ihn über die Zwangssterilisation eines Großteils der Bevölkerung nachdenken.
»Also ehrlich, Liebchen«, sagte er und musterte Anne mit einem missbilligenden Blick. Er selbst war natürlich wie aus dem Ei gepellt und trug zu seiner Khakihose nicht eins – ein Hauch von Extravaganz musste schließlich sein –, sondern zwei Polohemden von Ralph Lauren, ein leuchtend blaues über einem leuchtend orangefarbenen, mit aufgestellten Kragen.
Anne war sich darüber im Klaren, dass sie ziemlich mitgenommen aussah, auch wenn sie sich am Morgen in ihrer olivfarbenen Hose und dem leichten schwarzen Twinset noch schick gefühlt hatte. Inzwischen war die Hose zerknittert, und das Twinset schien in der nachmittäglichen Hitze ausgeleiert und größer geworden zu sein.
Ihr Make-up war von den »kleinen Deichbrüchen«, wie sie selbst es nannte, weggespült worden. Was ihre Haare betraf, hatte sie vor Stunden schon aufgegeben und sie mit einem braunen Gummiband, das sich ganz unten in ihrer Handtasche gefunden hatte, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
»Ich bin im Augenblick ein bisschen derangiert«, sagte sie. »Und ich fühle mich tatsächlich wie ausgekotzt.«
»Bist du schwanger?«
»Nein. Aber danke, dass du mich daran erinnerst.«
Es war für Franny kein Geheimnis, dass sie und Vince so schnell wie möglich eine Familie gründen wollten. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, über die intimsten Einzelheiten ihres Lebens Bescheid zu wissen – und im Allgemeinen gab sie diese auch ohne großen Widerstand preis, weil er ihr oft besser half als sämtliche Medikamente, die ihr ihre Therapeutin jemals verordnet hatte.
Sein Gesicht wurde weich, und er griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand. »Das wird schon noch, Liebchen. Du stehst im Moment einfach zu sehr unter Stress.«
»Ich weiß«, sagte sie leise. Und sie näherte sich den dreißig. Ticktack.
»Du lieber Himmel, lass dir bloß Zeit«, sagte Franny. »Außerdem darfst du nicht vergessen, dass wir hier praktisch über einen unerforschten Kontinent sprechen.«
»Das ist nicht wahr!«, protestierte Anne, aber seine Worte entlockten ihr ein verlegenes Lächeln.
»Unberührter Urwald«, sagte er mit funkelnden Augen. »Gott sei Dank bist du einem Holzfäller mit einer großen Axt begegnet.«
»Hör auf!«, sagte Anne kichernd und wurde knallrot. »Du schaffst es noch, dass sie uns rausschmeißen.«
»Ich will damit ja nur sagen, dass du Riesenschwein gehabt hast, Mädchen«, erklärte er mit extra breitem Long-Island-Akzent.
Eine Kellnerin kam an ihren Tisch, und Anne bestellte ein Glas Pinot Grigio.
Das Piazza Fontana war das Restaurant, in dem sie und Vince ihre erste inoffizielle Verabredung gehabt hatten. Er hatte sie unter dem Vorwand eingeladen, mit ihr über die Schüler sprechen zu wollen, die Lisa Warwicks Leiche gefunden hatten. Keinesfalls hätte sie sich zu diesem Zeitpunkt eingestanden, dass es ihr noch um irgendetwas anderes gehen könnte. Nach dem Essen hatte er sie zu ihrem Auto begleitet und zum Abschied geküsst. Ihre Lippen hatten die ganze Nacht gebrannt.
Das Restaurant war zu ihrem Lieblingslokal geworden. Vince, der aus einer großen, lauten Chicagoer Familie stammte, schätzte gutes Essen und guten Wein. Anne mochte die lässig elegante Atmosphäre – dunkles Holz und weiße Tischtücher, unverputzte Ziegelwände, in der Ecke ein plätschernder Springbrunnen. Sie kamen mindestens einmal die Woche zum Essen her.
Der Besitzer, ein Einwanderer aus der Toskana, servierte ihr den Wein mit einem breiten Lächeln. »Signora Leone! Was für eine Freude!«
»Danke, Gianni. Schön, Sie zu sehen.«
»Wo steckt Ihr Mann?«, fragte er und sah sich um. »Er lässt Sie auch nur eine Sekunde aus den Augen? Alle jungen Männer
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