Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
und ein schwarzes Polohemd. Das war das Schöne an der Selbstständigkeit: Es gab keine Kleiderordnung. Irgendwann hatte er festgestellt, dass die Leute nicht unbedingt gerne mit jemandem in Anzug und Krawatte sprachen, wie sie beim FBI vorgeschrieben waren. Manchmal war eine entspannte Atmosphäre von zentraler Bedeutung, brachte die Leute dahin, wo er sie haben wollte.
Einen Moment lang stand er nur da und sah sich Zahns merkwürdige Sammlung im Hof an. Zahn, der unter erbärmlichen finanziellen und familiären Bedingungen aufgewachsen war, zog offenbar Sicherheit aus dem Besitz von Dingen und daraus, diese Dinge ordentlich aufzustellen. Vermutlich hatte er jedes einzelne Stück in seinem Kopf aufgelistet und konnte seinen Platz angeben.
Wie es wohl war, mit einem solchen Verstand zu leben, fragte sich Vince. Er selbst konnte die halbe Zeit seine Autoschlüssel nicht finden. Er ging zu Zahns Haustür und drückte auf die Klingel. Er war überzeugt, dass der Professor ihn von einem der Fenster aus beobachtete. Es war ein Klicken aus der Gegensprechanlage zu hören, sonst nichts.
»Zander? Ich bin’s, Vince. Geht es Ihnen gut? Ich mache mir Sorgen um Sie. Ich wollte mich nur nach Ihrem Befinden erkundigen.«
Schweigen. Dann hörte er, wie ein Riegel zurückgeschoben wurde. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Zahn spähte heraus. »Vince. Ich habe Sie nicht erwartet, Vince. Ich bin nicht darauf vorbereitet, Besuch zu empfangen, Vince.«
»Hey, ich bin’s doch nur, Zander«, sagte Vince mit einem entwaffnenden Lächeln. »Ich bin nicht die Königin von England. Sie müssen sich nicht auf mich vorbereiten. Ich wollte mich nur versichern, dass es Ihnen gut geht, fragen, wie Sie sich heute fühlen. Ich weiß, dass Sie eine schwere Zeit durchmachen, Zander, und dass Sie hier draußen ganz allein sind.«
Zahn öffnete den Spalt ein bisschen weiter, so dass Vince sein Gesicht sehen konnte. Seine grünen Augen waren weit aufgerissen, die Pupillen fast so groß wie die Iris. Er trug eine schwarze Hose und einen schwarzen Rolli, die mit dem dunklen Hintergrund verschmolzen, so dass es aussah, als schwebte sein Kopf mit den grauen Haaren in der Luft.
»Das ist sehr nett von Ihnen, Vince«, sagte er mit seiner leisen, atemlosen Stimme. »Es ist schrecklich. Das alles regt mich sehr auf.«
»Das kann ich mir vorstellen. Sie haben eine gute Freundin verloren.«
»Ja. Und Haley. Wo ist Haley? Wie geht es Haley?«
»Haley wird es bald wieder gut gehen«, beruhigte Vince ihn. »Möchten Sie sie besuchen?«
Zahn öffnete überrascht den Mund. »Oh ja. Wäre das denn möglich, Vince? Darf ich Haley sehen? Darf ich mit ihr sprechen?«
»Das lässt sich bestimmt arrangieren«, sagte Vince und versuchte einen Blick ins Haus zu werfen, weil er sich fragte, welche Sammlungen sich darin wohl verbargen. »Möchten Sie das? Ich könnte es veranlassen.«
»Das wäre wunderbar«, sagte Zahn. »Haley ist so nett, so unschuldig, ein ganz, ganz reizendes Kind. Kleine Kinder urteilen nicht über andere, müssen Sie wissen. Man hat ihnen noch nicht beigebracht zu urteilen und zu hassen. Sie akzeptieren die Welt, wie sie ist. Ist das nicht schön? Kleine Kinder sind wie Zen-Meister. Sie akzeptieren die Welt, wie sie ist.«
»So habe ich das noch nie gesehen, Zander. Sie haben recht. Kleine Kinder haben etwas Reines. Das Leben hat sie noch nicht gebrochen. Das kommt erst später, nicht wahr?«
Zahn dachte mit gerunzelter Stirn über die Frage nach. Er blickt in sein Inneres, dachte Vince.
»Ich muss Ihnen etwas gestehen, Zander. Ich verdurste gleich. Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich reinkomme und ein Glas Wasser trinke?«
»Reinkommen? In mein Haus? Sie wollen in mein Haus kommen?«
»Ja, ich weiß, dass Sie sehr eigen sind und nicht wollen, dass jemand Ihre Sachen anfasst. Das ist mir bewusst. Aber ich habe Durst, und wenn ich ehrlich bin, ist mir ein bisschen schummrig«, sagte Vince. »Mir ist nämlich etwas ziemlich Schlimmes passiert. Wussten Sie das?«
»Nein. Tut mir leid, Vince. Das wusste ich nicht.«
»Ja, jemand hat vor anderthalb Jahren auf mich geschossen. Jemand hat versucht, mich umzubringen.«
»Oh Gott! Das ist ja schrecklich. Wie schrecklich.«
»Na ja, ich hab’s überlebt, nur manchmal geht es mir deswegen nicht gut. Ich muss mich hinsetzen und ein Glas Wasser trinken. Ginge das? Wir sind jetzt doch schon fast so etwas wie Freunde, Zander, nachdem wir die Sache mit dem Mord gemeinsam durchstehen
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