Eine verräterische Spur: Thriller (German Edition)
zu essen«, murmelte Zahn. »Ich kann nicht einkaufen. Einkaufen fällt mir sehr schwer. Rudy erledigt das für mich.«
»Das ist gut«, sagte Vince. »Sie sollten sich jetzt hinlegen, Zander.«
»Ja, ich werde mich hinlegen. Danke. Vielen Dank, Vince«, murmelte Zahn.
Er legte sich auf die Bank, zog die Beine an und schlief sofort ein.
Vince ging hinaus und setzte sich auf die Eingangsstufe. Das erste Mal seit zehn Jahren sehnte er sich nach einer Zigarette. Zahns Zusammenbruch war viel schlimmer gewesen, als er sich das ausgemalt hatte. Er machte sich Sorgen, dass er zu weit gegangen war. Normalerweise hatte er bessere Instinkte.
Er verfluchte die Kugel in seinem Kopf, weil sie ihm sein Zeitgefühl geraubt hatte. Eine kleine Schädigung des Frontallappens. Er war nicht mehr so geduldig wie früher.
Allerdings – das konnte er zu seiner Entschuldigung anführen – war er auch noch nie jemandem wie Zander Zahn begegnet. Wie weit man bei einem so kompliziert und »unnormal« denkenden Menschen wie Zahn gehen konnte, ließ sich nicht vorhersagen. Es war etwas völlig anderes, einen Psychopathen zu einem Ausbruch zu treiben, als jemanden, der so instabil war wie Zander Zahn.
Gleichzeitig war es aufschlussreich gewesen mitzuerleben, wie Zahn ausrastete. Könnte Marissa Fordham irgendetwas getan haben, das ihn in ähnlicher Weise provoziert hatte? Könnte sie die Geduld mit ihm verloren und eine Bemerkung gemacht haben, mit der sie ihn so sehr verletzt hatte wie seine Mutter vor vielen Jahren?
Nachdem er diesen Wutausbruch von Zahn miterlebt hatte, konnte er sich das durchaus vorstellen. Vielleicht hatten seine Nerven versagt, und er war mit dem Messer auf Marissa losgegangen. Wenn er sich in einem dissoziativen Zustand befand, war ihm das vermutlich nicht einmal bewusst gewesen.
In Mordprozessen wurden solche dissoziativen Zustände immer wieder zur Verteidigung vorgebracht, sie waren äußerst selten – aber es gab sie. Er setzte die einzelnen Puzzlesteine versuchsweise in seinem Kopf zusammen: der grauenvolle Mord, Zahn, der danach heimging, immer noch wie betäubt. Irgendwann musste ihm bewusst geworden sein, dass seine Kleidung voller Blut war – was allein schon traumatisierend gewesen sein musste. Er hatte womöglich begriffen, was passiert war. Er hatte seine Kleidung entsorgt und sich gründlich von Kopf bis Fuß abgeschrubbt.
Es war durchaus möglich, dass Zahn seine blutige Kleidung nicht mit dem, was Marissa und Haley geschehen war, in Verbindung brachte. Das menschliche Gehirn kannte erstaunliche Mittel und Wege, seinen Besitzer zu schützen. Zahn hatte garantiert viele der Traumata, die er erfahren hatte, abgespalten und hielt sie hinter verschlossenen Türen vor sich selbst verborgen.
»Was machen Sie denn hier, Detective Leone?«
Vince blickte auf und sah Rudy Nasser am Tor stehen. Er hatte die Zahlenkombination eingetippt, und es glitt auf. Vince sah, dass er zwei Einkaufstüten von Ralph’s in der Hand hielt.
»Ich wollte mich nur nach Dr. Zahns Befinden erkundigen«, sagte Vince, als Nasser auf dem schmalen Weg, der durch Zahns merkwürdige Schrottsammlung führte, auf ihn zukam.
»Ist alles in Ordnung mit ihm?«
»Er hat sich hingelegt. Haben Sie schon einmal einen Wutanfall von Dr. Zahn miterlebt?«
Nasser runzelte die Stirn. »Nur einmal, als er mich neulich zu Boden warf. Normalerweise ist er sanft wie ein Lamm. Warum? Ist etwas passiert?«
»Nein, nichts«, log Vince. »Es hat mich nur interessiert. Haben Sie ihn seither gesehen?«
»Ja, warum?«, fragte Nasser, und sein Blick wurde immer misstrauischer.
»Haben Sie darüber gesprochen?«
»Nein. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe ihn verärgert, und er hat darauf reagiert. Vergeben und vergessen.«
»Er ist also auch nicht darauf zu sprechen gekommen? Hat nichts gesagt? Sich nicht entschuldigt?«
»Nein«, sagte Nasser. »Warum fragen Sie mich das alles? Sie denken doch wohl nicht immer noch, dass Dr. Zahn etwas mit dem Mord an Marissa Fordham zu tun hat?«
Vince zwang sich zu einem beruhigenden Lächeln. »Ich möchte einfach nur verstehen, was in den Menschen vorgeht, Rudy. Ich möchte wissen, wie sie ticken. Und dazu muss ich bestimmte Details kennen«, sagte er, dann deutete er mit dem Kopf auf die Einkaufstüten. »Sie wollen bestimmt reingehen. Nicht, dass die Eiscreme schmilzt.«
Nasser war noch immer misstrauisch, ging aber trotzdem zur Haustür und sperrte sie auf. Er drehte sich noch einmal um, bevor er
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