Eine Versammlung von Krähen (German Edition)
sich in seinem alten Zimmer ein. Nachts, wenn seine Mutter in einem Dunst aus schmerzstillenden Medikamenten und Beruhigungsmitteln dämmerte, hatte Donny in seinem alten Kinderzimmer gelegen und an die Decke gestarrt. Er fühlte sich wie in einem Gefängnis, und mit jeder verstreichenden Nacht schienen die Wände enger zusammenzurücken.
Knapp ein Jahr lang hatte seine Mutter noch durchgehalten. Man hatte verschiedene Therapien ausprobiert, allerdings sprach sie auf keine davon richtig an, einige machten sie sogar noch kränker als der Krebs selbst. Letzten Endes hatte sie der Tod zu sich geholt. Donny saß neben ihr am Krankenhausbett, als es geschah.
Nun war sie für immer fort, und in einer Minute, sobald er in seinen Pick-up einstieg und den Motor anließ, würde auch Donny fort sein. Ebenfalls für immer.
»Tut mir leid, Ma.«
Die Straßenbeleuchtung erlosch. Donny schaute zu den Lampen hinauf und wartete, dass sie wieder angingen, doch sie taten ihm nicht den Gefallen.
»Verfluchtes Kaff. Hier funktioniert gar nichts mehr. Selbst die Lichter stecken in der Krise.«
Jemand brüllte durch die Nacht. Erschrocken zuckte Donny zusammen. Es klang wie eine verletzte Frau oder ein Kind. Der Schrei kam aus dem Wald und durchbrach die Stille. Nach einem Moment wurde ihm klar, worum es sich handelte. Das Geräusch stammte von einer Kreischeule. Als Kind hatte er sich entsetzlich vor den Biestern gefürchtet, als Erwachsener verdrängte er sie bis zu diesem Moment – das Dasein als Erwachsener hatte ihm neue Dinge zum Fürchten beschert.
»Verdammt.«
Mit einem neuerlichen Seufzen wandte sich Donny vom Haus ab und kletterte in die Kabine des Pick-ups. Die Federung des Sitzpolsters ächzte, als er einstieg. Er warf die Tür zu, kurbelte das Fenster hinunter und steckte den Schlüssel ins Zündschloss. Gerade wollte er den Motor anlassen, als jemand seinen Namen rief.
»Donny? Donny, warte!«
Überrascht beugte er den Kopf aus dem Fenster und sah sich um. Die Straßenbeleuchtung war noch nicht wieder angegangen, und zuerst nahm er nur einen Schatten wahr. Dann, als sich die Gestalt näherte, erkannte er sie. Marsha Cummings eilte auf ihn zu. Ihre Flipflops klatschten im gleichmäßigen Takt auf dem Asphalt.
Ich muss verdammt müde sein, dachte er. Ich hab sie nicht mal kommen gehört. Dabei sind ihre Flipflops wirklich unglaublich laut!
Er schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter und drehte den Schlüssel in der Zündung. Nichts passierte.
»Mist.«
Donny probierte es erneut, aber der Motor gab keinen Mucks von sich. Als er die Scheinwerfer einschalten wollte, stellte er fest, dass sie ebenfalls den Dienst verweigerten.
»Donny«, rief Marsha erneut. »Verflixt, warte doch!«
Mit einem finalen Seufzen ließ Donny die Finger vom Armaturenbrett rutschen. Er wartete darauf, dass Marsha neben dem Fahrerfenster auftauchte, und wiederholte leise das Pacino-Zitat.
»Gerade als ich dachte, ich bin raus, ziehen sie mich wieder rein.«
Und dann jaulten die Hunde los.
»Yo, dann wollen wir diese geile Scheiße mal richtig laut aufdrehen«, meinte Sam und angelte nach der drahtlosen Maus. Auf dem Monitor war iTunes gerade von Redman auf Kanye West umgesprungen. Die Bässe dröhnten leise aus den beiden Lautsprechern und einem Subwoofer, die an den Rechner angeschlossen waren.
»Lass das«, warnte Randy und schlug die Hand seines Freundes weg. »Meine Eltern sind noch wach. Wir können’s nicht brauchen, dass sie raufkommen. Und außerdem ist Kanye West ein Haufen Scheiße.«
»Wenn du ihn nicht magst«, meldete sich Stephanie zu Wort, nachdem sie an ihrem Bier genippt hatte, »warum ist er dann auf deinem iPod?«
»Weil ich ihn früher mochte. Aber jetzt nicht mehr. Der Typ benimmt sich ständig völlig daneben. Zu viel Ego und zu wenig Talent. Außerdem klingt der Dreck total angestaubt.«
»Na ja«, blieb Stephanie beharrlich, »das gilt für Redman und Ice-T auch, aber du hörst sie trotzdem. Und Ice-T gab’s schon, als unsere Eltern so alt waren wie wir.«
»Ja, aber das ist klassische Scheiße. Zwischen einem Klassiker und angestaubtem Dreck besteht ein großer Unterschied. Ice-T war ein echter Gangsta. Kanye ist überhaupt nicht so. Der ist eher wie ’n Eichhörnchen, das nach ’ner Nuss sucht.«
Randy richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Konsole. Sam und er hockten mit den Controllern in der Hand auf der Bettkante und starrten auf den Fernseher. Stephanie saß auf dem Stuhl vor Randys
Weitere Kostenlose Bücher