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Eine Vorhaut klagt an

Eine Vorhaut klagt an

Titel: Eine Vorhaut klagt an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shalom Auslander
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vielleicht Neuseeland, weg, weg, weg, die Suche nach dem Gelobten Land geht weiter –, aber ich weiß, wir können es nicht. Wenn wir wegziehen, stirbt Sharon. Geht ihr hier weg, sagt Gott, erwischt es das Mädchen. Wir stehen auf dem morbiden, mörderischen Schachbrett des Herrn, im Schach.
    Sharon lächelt viel und ist viel im Garten. Ich runzle die Stirn, gehe an meinen Schreibtisch und schließe die Jalousie. Einer von uns hat Krebs, der andere hat Gott.
    Vier Wochen vor dem Geburtstermin unseres Sohnes entdeckte ich auf Dukes rechtem Hinterbein einen Knoten. Er hatte die Größe eines kleinen Eis. Orli entdeckte einen weiteren auf seinem linken Hinterbein.
    – Geschwollene Lymphknoten, sagte unser Tierarzt. – Es könnte nichts sein. Es könnte aber auch Krebs sein.
    Er nahm eine Probe. Er wollte uns Bescheid geben.
    Duke war unser Mose. Duke hatte uns aus Manhattan in die Wildnis des Hudsontals geführt. Duke wollte nicht scheißen. Wir verbrachten damals ganze Wochenenden auf dem Land, wo Duke und Harley Eichhörnchen durchs Gebüsch jagten, durch das hohe Gras schnüffelten und in der heißen Sonne lagen und nach Fliegen und Moskitos schnappten. Montags fuhren wir nach Manhattan in unsere enge Wohnung zurück; Duke, noch ein Welpe, kackte erst, wenn wir wieder auf dem Land waren. Fünf Tage. Kein Pups. – Ich scheiße nicht auf Beton , sagte Duke. – Tut mir leid, aber so ist das eben bei mir.
    Wir waren nicht in der Lage, mit ihm zu diskutieren.
    Der Tierarzt blickte sorgenvoll drein, als er uns aus seinem Behandlungszimmer führte.
    – Machen Sie sich keine Sorgen, sagte er.
    Schweigend fuhren wir nach Hause. Wir versuchten, nicht in Panik zu geraten. Zu Hause angekommen, luden wir Duke und Harley ins Auto und fuhren mit ihnen zum Wandern in die Berge. Es war ein klarer Herbsttag, und das Laub verfärbte sich schon.
    – Sie dir das an, sagte Orli und zeigte auf den goldenen Ahorn über uns.
    – Die sterben.
    – Shal.
    – Nein, echt. Sie sind schön, aber sie sterben.
    – Shal.
    – Ich sag ja nur. Die Touristen knipsen sie, während sie tot abfallen. Buchstäblich. Sie fallen tot ab, vom Baum runter.
    – Sie haben ein gutes Leben gehabt.
    – Ein kurzes Leben.
    – Aber ein glückliches.
    – Na und.
    Ich war in der letzten Zeit mit dem Schreiben ganz ordentlich vorangekommen und glaubte, deshalb sei Dukes Leben bedroht.
    Wir gingen ein Stück weiter, über ein ausgetrocknetes Bachbett und einen kleinen Hügel hinauf, wo wir uns auf einen umgestürzten Baum setzten und Duke und Harley zusahen, wie sie schnatternde Streifenhörnchen durch die silbernen Farne jagten. Die kleinen Viecher waren froh, dass er bald starb.
    Das Baby fing an zu treten.
    – Kommt, Jungs, sagte Orli. – Gehen wir nach Hause. Morgen kriegt ihr sie.
    Es war Mitte Oktober, und ich suchte die Hunde auf Zecken ab, bevor ich sie ins Haus ließ. Später entdeckte Orli, als sie Duke Erde von den Beinen wischte, eine große Schnittwunde zwischen den Ballen der linken Pfote. Wir riefen den Tierarzt an.
    – Das dürfte es sein, sagte er und erklärte, eine infizierte Schnittwunde könne die Lymphknoten anschwellen lassen. – Kommen Sie morgen vorbei, dann setzen wir ihn auf Antibiotika.
    Wir beschlossen, zur Feier von Dukes Nicht-Tod essen zu gehen, und ich fragte mich, ob nicht alle Gläubigen hin und wieder so etwas tun sollten, da sie ja wussten, wer den Laden schmiss: Freunde einladen, einen Kuchen anschneiden, einander etwas schenken und Glückwunschkarten austauschen: [Außen] Wie ich höre, hat Er dich noch nicht getötet … [innen] aber der Tag ist noch nicht um! Schönen Nicht-tot-Tag!
    Ich ging nach oben, duschte, rasierte mich, kraulte Duke hinter den Ohren, gab ihm ein Leckerchen, stellte meinen Laptop an und zog den Ordner mit dem Titel »Abenteuer mit dem All-schlachtenden/ ALLE « in den Papierkorb.
    In der dritten Klasse sagte mir Rabbi Kahn, mein Name sei einer der zweiundsiebzig Namen Gottes, und er verbot mir, ihn jemals ganz auszuschreiben. Wir schrieben vornehmlich auf Hebräisch und Jiddisch, daher wurde alles, worauf ich meinen Namen schrieb – Gottes Namen –, auf der Stelle heilig: Tests, Buchreferate, Highlights for Kids – folglich konnten sie nie schlecht behandelt werden. Es war verboten, sie mit dem Fußboden in Berührung kommen zu lassen, es war verboten, sie wegzuwerfen, es war verboten, andere Papiere daraufzulegen.
    – Name des Schöpfers!, brüllte Rabbi Kahn und zeigte voller Entsetzen

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