Eine Vorhaut klagt an
nach Jerusalem waren. Der Kleinbus war gerade auf die Schnellstraße gefahren, als der Laster sich neben ihn setzte und sein Fahrer das Steuer herumriss, so dass der Kleinbus die Leitplanke durchbrach und einen steilen Abhang hinunterstürzte. Als die Nachricht von dem Unfall in der Jeschiwe eintraf, rannten alle den Berg hinunter und schauten von einem Felsvorsprung auf die Straße hinab. Am schwersten verletzt war ein Erstjähriger, der im Gelobten Land war, um wieder in Kontakt zu seinem Gott zu treten; später erfuhren wir, dass er vom Hals abwärts gelähmt war.
Wo ist das Wohlergehen dieses Mannes? , fragte ich mich.
Der Laster mit den Arabern war auf der Schnellstraße geflüchtet, zwei Jeeps der israelischen Armee hatten die Verfolgung aufgenommen. Augenblicke später röhrte es unterhalb der Stadt Telshe Stone, und drei F-16 erschienen wie aus dem Nichts; später erfuhren wir, dass die Stadt, in der wir über ein Jahr lang gelebt hatten, auf einem unterirdischen Luftwaffenstützpunkt erbaut war. Hier war nichts, wie es schien. Die Bilder geben nicht den tatsächlichen Inhalt wieder .
Die Düsenjäger flogen in Formation über uns. Die Amerikaner johlten.
Ich war verwirrt.
Ich war verstört.
– Ich bin verwirrt, sagte ich zu Rabbi Wint. – Ich bin verstört.
– Da spricht der Sotn , sagte er. Die böse Neigung.
Einen Monat später ging es meiner Großmutter wieder schlechter. Und ein paar Wochen danach wurde mein Großvater krank. Ich ging zur Mauer. Ich klagte. Ich stopfte Dutzende von Zetteln in Dutzende von Ritzen, doch in New York schüttelten Dutzende von Ärzten den Kopf und sagten: – Da ist nicht mehr viel zu machen.
Einen Monat danach ging ich durch die Straßen der ultraorthodoxen Gemeinde Geulah in Jerusalem und sah mich kurz in dem Schaufenster des Männerhutgeschäfts gespiegelt, in dem ich Kunde war. Ich erkannte mich nicht mehr.
– Ich erkenne mich nicht mehr, sagte ich zu Rabbi Wint.
– Da spricht der Sotn , sagte er.
Am selben Abend packte der Sotn meine Koffer und buchte mir einen Platz in einem Flug von Tel Aviv zum JFK in New York. Eine Woche später wohnte ich in einer Kellerwohnung in Queens, einem Stadtteil New Yorks, und besuchte die dortige Jeschiwe in der Jewel Avenue. Ich trug noch meinen schwarzen Filzhut und meine Zizijot , als der Sotn mir im McDonald’s in der Jewel Avenue einen Cheeseburger kaufte. Am Abend fuhr er mich dann nach Manhattan und bezahlte die Dienste einer Prostituierten in der 39th Street zwischen Ninth und Tenth Avenue.
– Ich bin Brandi, sagte sie und setzte sich auf den Beifahrersitz.
Brandy wird aus Wein gemacht. Ohne die Beglaubigung durch einen Rabbi ist Wein nichtkoscher. Die Segnung des Weins ist Ha-gafen . Wein muss gesegnet werden, auch wenn er Teil eines größeren Mahls ist. Wird das Mahl von mehr als drei Männern eingenommen, muss man das erweiterte Tischgebet nach dem Mahl sprechen. Brandi zog den Mantel aus.
– Ich bin aus Minnesota, sagte Brandi. – Woher kommst du?
– Jerusalem.
– Cool.
Als wir fertig waren, stieg sie aus und schloss die Tür. Sie hatte auf meinem schwarzen Filzhut gesessen.
Ich war verwirrt. Ich war verstört. Ich brauchte einen Hutblock. Ich legte den Gang ein, um nach Hause zu fahren, doch schon wenige Straßen weiter hielt ich auf der 40th Street an, machte die Wagentür auf und kotzte.
Und wurde auf der Stelle aus dem Talmud hinausgeschrieben.
16
Unsere Nachbarin heißt Sharon. Sharon hat Krebs im fortgeschrittenen Stadium. Sie hat auch noch andere Dinge. Sie hat einen Garten und einen Hund und einen 1996er Jeep Grand Cherokee. Sie hat einen Mann namens Roy – Sie sind ihm schon im ersten Kapitel begegnet, wo er von dem Lieferwagen, der ihm seine Pornos bringen wollte, überfahren wurde. Sharon verblüfft die Ärzte; sie hätte eigentlich schon vor Jahren sterben müssen. Die Ärzte sind ratlos. Die Ärzte stehen vor einem Rätsel. Die Ärzte können es nicht erklären. Die Ärzte sind Idioten. So auch Sharon: Sharon glaubt, sie sei nach Woodstock gezogen, weil sie die Natur liebt. Sie irrt sich. Sie ist überhaupt nicht hierhergezogen; Gott hat sie hierhergezogen. Sie ist eine Bedrohung. Sie ist eine Warnung. Sie ist Gott, der Seine Truppen an meiner Grenze verstärkt. Sie heißt nicht Sharon. Sie heißt Leg-dich-nicht-mit-mir-an. Sie heißt Das-könntest-auch-du-sein. Orli und ich überlegen oft, ob wir nicht wegziehen sollen – weiter hinaus, weiter weg, Europa, Australien, nein,
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