Eine Vorhaut klagt an
auf die McGraw-Hill American History , die antisemitisch auf meinem Talmudtest lag. – Name des Schöpfers!
Dann musste ich das Klassenzimmer verlassen, nach oben gehen und den ganzen Weg zum Bejs midrasch (Bethaus) gehen, wo ein brauner Pappkarton stand, der für heilige Seiten ohne Zugehörigkeit reserviert war: zerrissene Gebetbücher, alte Haggadas, bröckelnde Talmuds und das plötzlich heilige »Wie ich den Sommer verbracht habe« von Gott Auslander.
Worte haben Gewicht, Worte haben Macht. Worte sind heilig.
Möchten Sie die Objekte im Papierkorb wirklich dauerhaft entfernen?, fragte mein Laptop. Diese Aktion kann nicht widerrufen werden.
Ich klickte OK .
Wir gingen essen.
Ich wollte das Steak.
Ich bestellte den Fisch.
Koscher-isch-er.
17
In einer guten Woche bekam man vielleicht zwei, drei Leichen. Dann gab es wieder Wochen, in denen anscheinend kein einziger verdammter Mensch starb.
Ungeduldig rief ich einen Mann namens Motty an. Motty war der Disponent.
– Gibt’s was?
– Nichts, sagte Motty. – Hab ich dich angeklingelt?
– Nein, sagte ich. – Wollt nur mal hören.
Wenn jemand starb, rief die Familie Motty an und Motty wiederum mich.
– Kannst du am Wochenende?, fragte er dann.
– Na klar. Ich kann am Wochenende.
Ich war ein Hüter. Auf Hebräisch ein Schomer . Gemäß dem jüdischen Glauben verlässt die Seele den Körper zum Zeitpunkt des Todes, bleibt aber noch irgendwie, bis der Leichnam begraben ist. Das kann für die Seele eine furchtbar belastende Zeit sein, wo sie doch keinen Körper hat und unsichtbar ist und herumschwebt. Daher darf der Körper, wie die Rabbis festgesetzt haben, vom Zeitpunkt des Todes bis zur Bestattung niemals allein gelassen werden. Traditionell blieb ein Familienangehöriger bei dem Leichnam. Aber wenn niemand aus der Familie bei einer kalten, fahlen Leiche im kalten, dunklen Keller eines kalten, leeren Bestattungsunternehmens sitzen wollte, rief die Familie Motty an. Und Motty rief mich an.
– Flushing Meadows Memorial. Jewel Avenue. Schwartz.
– Oceanside Memorial. 21–11 Atlantic Avenue. Finkel.
– Riverdale Hebrew Home. Riverside, Ecke 268th Street. Dweck.
Die alten Rabbis sagen uns, Hüter sein sei eine wunderbare Mizwe , also eine gute Tat, wofür uns der Allmächtige, gesegnet sei Er, in der Kommenden Welt reich belohnen werde. Das war ja alles gut und schön, aber Motty zahlte fünfundachtzig Dollar die Nacht – bar –, und mehr Lohn brauchte ich nicht. Ich war neunzehn Jahre alt, von Israel wieder zu Hause und wohnte in einer kleinen Kellerwohnung in Kew Gardens, Queens. Ich hatte mein gesamtes Leben in Jeschiwes verbracht, ein Affe in Gottes orthodoxer Skinner-Box, und auch wenn ich mit meiner schwarzen Hose, dem weißen Button-down-Hemd und dem schwarzen breitkrempigen Filzhut danach aussah, hatte ich mich in letzter Zeit immer weniger wie Jerusalem und immer mehr wie Gomorrha gefühlt.
– Westside Memorial. Seventh Avenue. Katzenstein.
– Flushing Memorial. Union, Ecke 67th. Blumenfeld.
Anfangs konnte ich noch mit zwei Jobs die Woche rechnen, drei, wenn ich Glück hatte. Freitagnacht gab es das Doppelte, fast zweihundert Dollar, aber da musste man schon Freitagabend erscheinen und bis zum Ende des Sabbats bleiben, also bis Samstag spätabends. Das war eine lange Zeit bei einer Leiche, sogar für mich. Aber zweihundert Dollar waren zweihundert Dollar, und ich war ja nicht blöd. Ich sparte auf einen 82er Ford Mustang Cabrio.
Es war eine überraschend angenehme Arbeit. Die Toten waren genau das Richtige für mich.
– Nimm ein Kissen mit, sagte Motty, als er das erste Mal anrief. – Und ein Tehillim . Tehillim ist das hebräische Wort für das Buch der Psalmen.
– Und was zu essen, fügte er hinzu.
– Was denn so?, fragte ich.
– Was du willst, sagte Motty.
– Das wäre? Kartoffelchips?
– Kartoffelchips sind in Ordnung.
– Kann ich ein Sandwich mitnehmen?
– Was denn für ein Sandwich?, fragte Motty.
– Thunfisch?
Eine Pause entstand, in der Motty die theologischen Implikationen bedachte.
– Du kannst auch ein Sandwich mitnehmen, verfügte Motty.
– Kew Gardens Funeral. Jewel Avenue. Bernstein.
Meine erste Arbeit.
Motty sagte, ich solle nicht später als sieben Uhr abends dort sein, sonst käme ich nicht mehr rein. Der Wachmann habe einen Umschlag mit fünfundachtzig Dollar für mich, und er werde mir auch die Leiche zeigen.
Ich war noch nie in einem Bestattungsunternehmen gewesen. Das
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