Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition)

Titel: Eine Wiener Romanze: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Vogel
Vom Netzwerk:
Letzten Endes wurde es der Mutter zugetragen, und sie versetzte mir zwei Ohrfeigen und schickte mich zurück ins Lager. Das Kind, habe ich später gehört, hat die Mutter zur Welt gebracht, nicht die Tochter.«
    Rost zahlte.
    »Was, Sie wollen schon gehen? Schön. Ich will Sie nicht aufhalten. Aber falls Sie mich mal brauchen sollten, können Sie mich hier immer finden, hier bin ich bestens bekannt, Sie brauchen bloß nach dem Schauspieler zu fragen. Ich mische bei allerlei Dingen mit, müssen Sie verstehen …«, er setzte eine listige Miene auf und machte eine vieldeutige Handbewegung, »und ein Mann wie Sie …«
    »Ein Mann wie ich?«
    »Und ein Mann wie Sie braucht manchmal einen Mann wie mich …«
    »Meinen Sie!«
    »Ich kenne mich ein wenig mit Menschen aus.«
    »Nein. Ein Mann wie ich braucht keinen wie Sie.«
    »Das können Sie nie wissen. Jedenfalls finden Sie mich hier.«
    Ziellos schlenderte er durch menschenleere, verwinkelte Gassen, die ein Geheimnis zu bergen schienen und ihn unwillkürlich in Spannung versetzten. Hin und wieder flitzte eine große Maus über das schmierige Pflaster und schlüpfte durch den Rost eines Gullys. Ein gedämpftes, gewissermaßen stoffloses Säuseln wehte mal hier, mal dort in der Ferne, ebbte ab und verstummte wieder, hinterließ eine lastende Stille, die mit den blinden Häuserzeilen zu steinerner Starre verschmolz. Eine vage Erinnerung an eine ähnliche Nacht, unter Massen von Jahren und Ereignissen begraben, kam Rost in den Sinn, und schon schwebte ihm auch etwas Helles, Grenzenloses vor Augen, das wohl etwas mit jener lange zurückliegenden Nacht zu tun hatte, vielleicht sogar ihr Wesenskern war. Aber Rost stocherte nicht gern in der Vergangenheit. Jedes Ereignis in seinem Leben, das einmal in der Vergangenheit versunken war, wurde für ihn irreal, wie nie gewesen. Das Stück Gegenwart hingegen, diese runde und feuchte Herbstnacht, langweilte ihn schlicht und einfach,anders als bei all den Lebenshungrigen, die auf jede Minute begierig sind und an allem Interesse finden. Ja, man musste auf die Boulevards hinausgehen und mit dem Taxi nach Hause fahren.
    An einer Straßenecke erschien eben jetzt die kerzengerade Gestalt einer bisher im Schatten verborgenen Frau, die ihn geradewegs ansteuerte. Er blieb mitten auf dem Pflaster stehen, bis sie bei ihm angekommen war. Das fahlgelbe Licht einer nahen Straßenlaterne fiel auf ein junges Gesicht, dessen seltsame, tief verschattete Augen ihn etwas zaghaft anblickten. Ein eigentümlicher Charme lag auf ihren Zügen. Es dauerte einen Moment, bis sie sagte: »Bitte verbringen Sie den Rest der Nacht mit mir. Ich kann heute nicht allein sein.« Und kurz darauf fügte sie hinzu: »Sie brauchen nichts zu bezahlen. Nicht mal das Hotel.«
    Rost war erst unschlüssig, folgte dann aber dem Drang, sie zu begleiten. Stumm gingen sie etwa zehn Minuten von Straße zu Straße, bis sie vor einem mittelgroßen Hotel stehenblieb. Hotel Grenoble mit allem Komfort verhieß das Schild. Rost wurde in ein Zimmer in der dritten Etage hinaufgeführt, in dem ihn ein Hauch leicht süßlichen Damenparfüms empfing. Es war ein kleiner Raum, der schmerzliche Einsamkeit ausstrahlte, an den Wänden Blumentapeten mit roten Blüten auf blauem Grund, ein breites Messingbett nahm fast ein Drittel der Grundfläche ein. Als sie Mantel und Hut abgelegt und mit denen des Gastes an den Haken an der Tür gehängt hatte, bot sie ihm einen Stuhl am Tisch an und holte eine Flasche Wein und Gläser aus dem Schrank.
    »Dein Gesicht ist nicht unsympathisch«, sagte sie, als sie sich ihm gegenübergesetzt und die Beine übereinandergeschlagen hatte, »gut dass der Zufall mir gerade dich zugeführt hat.« Sie schenkte ein und nahm einen kleinen Schluck. Sie hatte ihr dickes, kastanienbraunes Haar, dashier und da golden schimmerte, so um den Kopf geschlungen, dass sie ein wenig wie ein Pilz aussah.
    Nicht hässlich!, entschied Rost im Stillen.
    »Heute feiere ich ja, weißt du!«, sagte sie feixend. »Meinen Geburtstag feiere ich heute! Meine Eltern, hihi, meine Eltern haben diesen Tag zum Feiertag gemacht … Hast du auch Eltern? Aber gewiss keine solchen wie ich! Solche gibt’s nicht noch einmal!«
    »Hm …«, machte Rost. Er gab ihr eine Zigarette und Feuer. »Deine Eltern?«
    »Aha, das willst du wohl wissen, was?! Das interessiert dich sehr?! Du meinst wohl, ich würde meine Lebensgeschichte bereitwillig jedem dahergelaufenen Mann erzählen?! Nun mal langsam, mein Lieber!«

Weitere Kostenlose Bücher