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Eine zweite Chance

Eine zweite Chance

Titel: Eine zweite Chance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Alvtegen
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Nein, die Abneigung seiner Tochter hatte er sich selbst zuzuschreiben. Aber es war wohl einfacher, Helena die Schuld zu geben, als sie sich selbst einzugestehen. Er hatte das abgelehnt, was er satthatte, aber geglaubt, alles andere behalten zu können. Dass Menschen auch ihren eigenen Willen hatten, kam offenbar überraschend.
    Sie schloss die Augen. Martins E-Mail durfte sie nicht stören, wenn sie endlich eine ruhige Stunde mit Emelie haben würde. Die Hände um die Schlagsahneschüssel gelegt, nahm sie einen tiefen Atemzug, durch die Nase sollte die Luft hineinkommen und tief hinunter in die Lunge strömen, dort ein Weilchen bleiben und dann langsam den Körper verlassen. Sie hatte in einer zurückgelassenen Gesundheitszeitschrift gelesen, wie man das machte. Ein Artikel darüber, wie man sein Gleichgewicht fand. Darin war auch zu lesen gewesen, wie man es lernte, im Jetzt anwesend zu sein, aber es war nicht daraus hervorgegangen, was man tun sollte, wenn das Jetzt das Einzige war, was man mit Sicherheit aufgeben wollte.
    Emelie kam die Treppe herunter, und Helena ging mit der Schlagsahneschüssel zum Foyer. Sie trafen sich im Entree. »Ist es gut gegangen?«
    »Was denn?«
    »Was du erledigen wolltest.«
    Emelie zuckte die Achseln. »Ist es wohl.«
    Damit war dieses Gesprächsthema erschöpft, und zusammen gingen sie in den Gesellschaftsraum. Helena stellte die Schüssel auf den Tisch und leckte Sahne von einem Finger. Betrachtete den gedeckten Tisch und fand selbst, dass es gemütlich aussah. »Emelie, kannst du bitte noch ein Holzscheit dazulegen?«
    Es war etwas Beflissenes in dem, was sie sagte. Ein gekünsteltes Betteln. Wenn ein Gleichgewicht hergestellt werden sollte, musste sie für einen doppelten Enthusiasmus stehen.
    Emelie tat, wie ihr gesagt worden war. Sie legte ein Holzscheit in den Kamin, ein wenig halbherzig, nicht einmal ein paar Stücke mehr, um sicherzustellen, dass das Feuer noch eine Weile brennen würde.
    »Bitte. Komm und setz dich her.«
    Emelie setzte sich an den Tisch, wo Helena die weinroten Sessel bereitgestellt hatte, von denen sie wusste, dass sie ihr am besten gefielen. Das gehörte zu den Dingen, die sie früher erfahren hatte, als Emelie noch die Gewohnheit gehabt hatte zu erzählen. Als sie jünger war, musste alles beurteilt werden – der feinste Sessel, die schönste Blume, das leckerste Essen. Oft hatten sie und Martin auf Verlangen der Tochter Favoriten auswählen müssen, manchmal auf Gebieten, von denen sie nicht gewusst hatten, dass es möglich war, sie zu bewerten.
    Es war der Bezug der Sessel, den Emelie gemocht hatte, wie weich er war, wenn man mit der Hand über den Samt rieb. Fast wie elektrisch wird es, Mama, fühl doch mal! Und Emelie hatte mit der Handfläche über ihre Wange gestrichen. Damals war es ihr noch so wichtig gewesen, dass sie alles teilten.
    Jetzt saß dieselbe Tochter in demselben Sessel, das Zimmer war dasselbe, aber Emelie war eine andere. Der dünne Körper hatte Formen bekommen, und die Haare, die früher so blond wie Helenas gewesen waren, waren jetzt in einer lilaschwarzen Nuance gefärbt. Sie hatte es gemacht, ohne um Erlaubnis zu bitten. Vor einem Monat war sie einfach aus dem Badezimmer gekommen und hatte genauso fremd ausgesehen, wie sie wirkte.
    Hätte sie das doch damals gewusst, in der Zeit von Emelies Kindheit, als sie sich müde und abgearbeitet nach dem Tag sehnte, an dem die Tochter älter und selbständiger werden würde. Jetzt wünschte sie sich nichts mehr, als die Zeit zurückzubekommen, in der sie das Zentrum in Emelies Leben gewesen war.
    In dem Moment, in dem sie die warme Schokolade eingoss, hörte man das Geräusch eines Autos auf dem Hof. Nicht jetzt, schaffte Helena noch zu denken, ehe der tiefe Seufzer von Emelie kam.
    »Na, wer ist das denn jetzt?«
    »Ich habe keine Ahnung, für heute werden keine Gäste erwartet. Auch keine Lieferungen.«
    Ihr Tonfall klang verteidigend. So viele Male hatten sie etwas abbrechen müssen, weil die Pflicht rief. Emelie hatte durchaus das Recht, enttäuscht zu sein. Zugleich hatte Helena es zutiefst satt, sich immer wieder entschuldigen zu müssen. Dass jede Zeit mit schlechtem Gewissen durchtränkt schien.
    Emelie stand auf und ging zum Fenster. »Ein Typ in einem Saab. Er scheint eingeschlafen zu sein.«
    Helena erhob sich widerstrebend, und tatsächlich, da saß ein Mann in einem silberfarbenen Saab auf dem Hof, die Augen geschlossen und den Kopf zurückgelehnt. Der Anblick schien

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