Eine zweite Chance
dass er den Reflex unterdrückt hatte, mit dem Stimmen zu beginnen. Angesichts des Zwangs, spielen zu müssen, erinnerte er sich nicht mehr an seine Begeisterung. Nur, dass etwas sehr, sehr wehgetan hatte.
Er brachte es einfach nicht über sich.
»Ich spiele nicht.« Er legte die Gitarre auf den Schoß.
»Was? Sie spielen nicht?« Verners Erstaunen war echt.
»Nein, ich habe das früher getan, aber dann habe ich aufgehört.«
»Werden Sie nicht auf ihr spielen?«
Anders schüttelte den Kopf. Jetzt war ihm speiübel, und es war Zeit aufzubrechen. Er steckte die Hand in die Innentasche seiner Jacke, um die Brieftasche hervorzuholen.
»Was wollen Sie dann mit ihr, wenn Sie nicht darauf spielen? Ne, dann wird sie hier bei mir bleiben und weiter unter dem Bett ruhen.«
Verner streckte seine Hand nach der Gitarre aus, aber Anders konnte sie gerade noch wegziehen. Angesichts der Drohung, mit leeren Händen hier wegzugehen, war er bereit zu einem neuen Versuch. »Okay, okay, ich werde etwas spielen.«
Verner richtete sich auf und sah ihn erwartungsvoll an. Seine Hand war wieder zu der Katze zurückgekehrt.
Sacht legte Anders die Gitarre zurecht. Die Hand zitterte, als sie sich um den Hals legte, und die Finger zögerten, als sollten sie an Feuer rühren. Sie erinnerten sich an jedes Versteck, jede Fingerstellung. Sie wussten genau, wo sich der Akkord befand und wie man ihn hervorlockte. Als wäre die Zeit nie vergangen, lag dieses Wissen noch in seinen Händen, während all dieser Jahre nutzlos. Etwas stieg auf, das im Hals schmerzte. Auf einmal konnte er fühlen, wie unendlich viel Trauer er in das Instrument hineingepresst hatte. Eine solche Menge, dass sie zum Schluss keinen Platz mehr fand.
Er gab auf und legte die Gitarre auf den Schoß. »Ich werde darauf spielen, später.«
»Ne danke, ich will hören, dass Sie es können. Das ist keine Gitarre für Stümper.«
Verner streckte den Arm aus und griff nach dem Gitarrenhals, aber Anders weigerte sich, sie loszulassen.
»Ich kaufe sie Ihnen ab.«
»Sie ist nicht zu verkaufen.«
»Ich zahle hunderttausend.«
Verner schnaubte. »Was soll ich mit hunderttausend?«
»Okay, dann sagen wir zweihunderttausend.«
Verner zog seinen Arm zurück und ließ Anders eine Frist von ein paar Sekunden. Als die Antwort kam, war ein neuer Tonfall in seiner Stimme.
»Wenn ich keine hunderttausend gebrauchen kann, werden Sie doch begreifen, dass ich keine Verwendung für doppelt so viel habe. Ne, ne, jetzt habe ich anderes zu tun.«
Er hob die Katze von seinem Schoß und stand auf. Anders tat dasselbe, die rasche Bewegung verstärkte den Schwindel. Er stützte sich am Stuhlrücken ab und wagte einen neuen Versuch.
»Jetzt hören Sie mir mal zu, Verner. Ich werde etwas tun, was ich noch nie getan habe, ich werde das Angebot für ein einfaches Brett um vierhundert Prozent erhöhen. Sie bekommen eine Million. Eine Million Kronen, Verner, für dieses Holzstück mit ein paar Saiten, das Sie hier unter dem Bett liegen haben. Das ist ein ziemlich gutes Geschäft, oder? Das müssen Sie doch zugeben?«
Jetzt erschien etwas Schwarzes in Verners Augen, zu spät erkannte Anders seinen Fehler.
»Für mich oder für Sie?«
Ein paar Sekunden lang wurde es ganz still. Anders senkte den Blick und spürte zu seiner Überraschung, dass er errötete. Verner war nicht der einfältige Kauz, zu dem Anders’ vorgefasste Meinung ihn gemacht hatte, seine Vorurteile hatten ihn aufs Gröbste getäuscht. Er wusste durchaus um den Wert der Gitarre, die er jetzt zärtlich in die Decke packte, und war mit Anders einig, dass er ihn zu täuschen versucht hatte.
Er schaffte es gerade noch bis zur Fichte, bevor die Schmerzen im Hals zunahmen und zu Tränen wurden. Etwas war zerbrochen, etwas, das sie nicht auf einem Röntgenbild gesehen hatten, was aber trotzdem die Voraussetzung für sein Überleben war. Mit neun Jahren hatte er das Tor zu einer bodenlosen Trauer verriegelt, jetzt sprangen alle Schlösser mit einem Krachen auf. Zu Tode erschrocken eilte er zum Auto. Die Schmerzen waren nicht mehr nur in seinem Kopf, sie kamen aus der Tiefe, alles tat weh. Er musste sich hinlegen, eine Schlaftablette nehmen und sich retten. Es gab keine Verstecke mehr. In seiner Ohnmacht schwankte er weiter, und durch die Tränen hindurch erblickte er das Auto und dahinter die Ansammlung von Höfen und Häusern.
Vage erinnerte er sich an das Schild mit dem Text »Lindgrens Hotel & Pension«.
Kapitel 8
Emelie war nach
Weitere Kostenlose Bücher