Eine zweite Chance
Samstagabend verschoben, wenn die Kleider des Tages im Wäschekorb gelandet waren und sie mit frisch geputzten Zähnen ins Bett gingen. Dort unter der Decke wurde erwartet, dass die Lust auf eine wundersame Weise von selbst aufflammen würde. Sie machten es so, wie sie es gewöhnt waren, sorgfältig geplant und zielstrebig. Ihre Lust kämpfte verzweifelt gegen Gewohnheit und Wiederholung an. Ihr fehlte ein Maß an Ungewissheit. Zugleich war sie unendlich dankbar für die Stabilität, die Martin geboten hatte, und diese Ambivalenz war der Nährboden für Schuld und Scham. Sie brachte sie dazu, sich undankbar zu fühlen. Aber ihr Verlangen wollte sich überrumpeln lassen, in einem unvermuteten Augenblick von jemandem geweckt werden, der sie hier und jetzt wollte, von jemandem, der unfähig war, sich zu beherrschen. Sie phantasierte, wie es wäre, frei von Verantwortung zu sein, wollte, dass seine sicheren Hände sie bis zu einem Punkt erregten, an dem sie sich hingeben musste und ausnahmsweise die Kontrolle verlieren durfte. Aber Martin war nicht der unbeherrschte Typ. Wohlerzogen bat er um Erlaubnis, während sie einfach nur genommen werden wollte.
Das Ganze war widersprüchlich. Während die platonische Vertrautheit gewachsen war, schrumpfte die Neigung, sexuelle Wünsche zu enthüllen. Eine Scheu, die nicht der Nacktheit galt, sondern den geheimsten Phantasien. Ein innerer Zensor schaltete sich ein, um ihre schöne Liebe rein und frei von unanständigen Wünschen zu halten. Schließlich hatte ihre Lust aufgegeben. Sie hatte sie nicht einmal vermisst. Sie wurde in einen Winkel ihres tiefsten Inneren verbannt. Nach der Trennung hatte sie noch schwache Lebenszeichen von sich gegeben, als sie frei wurde, sich an wen auch immer zu richten.
Aber nur in ihren Träumen.
Sie schaute auf ihre Hände, die auf der Tastatur ruhten. Die kleine Einbuchtung am linken Ringfinger, wo der Ehering gesteckt hatte, war jetzt nicht mehr zu sehen. Stück für Stück löschte die Zeit alle Spuren. Sie wucherten zu. Nur die Wut blieb unverändert. Sie steckte wie ein Pfahl direkt in der Brust und nagelte sich in einer hoffnungslosen Erwartung besserer Zeiten fest. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass sie feststeckte, denn würden diese besseren Zeiten an die Tür klopfen, wäre sie nicht in der Lage, sie zu öffnen. Die Scham der verschmähten Frau, verwandelt in die Strafe, die sie verdiente.
Sie fragte sich, ob ihr die gemeinsamen Jahre mit ihm irgendwann nur noch wie eine diffuse Episode erscheinen würden. Etwas, das sie hinter sich gelassen hatte, wie ein Paar aus Zerstreutheit vergessene Handschuhe.
Es war sechs Uhr, und die Umsatzsteuererklärung war schon längst fertig. Sie war oben gewesen, hatte sich flüchtig gewaschen und umgezogen. Länger als gewöhnlich hatte sie vor dem Kleiderschrank gezögert. Ausnahmsweise freute sie sich auf das Abendessen, wie lange war es her, seit sie einen erwachsenen Gast gehabt hatte. Jetzt stand sie unten in der Küche, in ihrer schwarz geblümten Schürze von Marimekko, und fing an, die Kartoffeln zu schälen.
»Emelie! Wir essen heute um sieben Uhr.« Sie schaute zur Treppe, aber von oben war nichts zu hören. »Emelie!«
»Ja, ich habe es gehört.«
»Gut. Und Anders, du weißt, der den Stall streicht, isst mit uns.«
»Okay.«
Er war in seinem Zimmer und duschte. Sie hatten ein paar Worte gewechselt, als er vor einer Stunde hereingekommen war und mit seinem Tagwerk zufrieden schien. Fast widerwillig gestand sie sich ein, dass seine Anwesenheit ihr guttat. Das übliche Grübeln hatte weniger Spielraum, wenn es den Fortschritten im Stall Platz machen musste.
Sie wollte gerade in die Küche zurückgehen, als sie ein Auto im Hof vorfahren hörte. Durch das Fenster sah sie einen Kastenwagen von FedEx und ging verdutzt zur Eingangstür. Seit sie aus Stockholm fortgezogen war, hatte sie keinen FedEx-Wagen mehr gesehen. Das Auto hielt vor dem Haus. Ein Mann sprang aus der Fahrerkabine und ging mit raschen Schritten zur Hintertür.
»Tag, hier ist ein Paket für Anders Strandberg in Lindgrens Hotel. Das ist doch hier, oder?«
»Ja.«
Er öffnete die Hintertür und hob das Paket heraus, etwas kleiner als ein Umzugskarton. »Soll ich es hier auf die Veranda stellen?«
»Gern. Was ist es denn?«
»Keine Ahnung.« Er ging die Treppe hoch und zog eine elektronische Schreibplatte aus der Tasche. »Ich brauche eine Unterschrift.«
Sie schrieb ihren Namen, und er ging wieder hinunter zum Wagen,
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