Eine zweite Chance
wenn sie zu Besuch nach Hause kommen.«
»Machst du Witze?«
Anna-Karin öffnete die Handtasche und zog ein Papiertaschentuch heraus. Schnäuzte sich, statt zu antworten.
»Meinst du, irgendeins unserer Kinder würden da oben schlafen wollen? Bist du in letzter Zeit mal dort gewesen und hast gesehen, wie es da aussieht?«
»Wir würden es ja erst noch renovieren.« Sie sah sich nach einem Müllbeutel um, blieb dann aber mit dem Taschentuch in der Hand sitzen.
»Es wäre billiger, dieses Häuschen dem Erdboden gleichzumachen und ein neues zu bauen. Woher das Geld dafür kommen sollte, weiß ich aber nicht. Und wo meinst du eigentlich, sollte Verner bleiben?«
Anna-Karin verfolgte ein strebsames Rinnsal an der Scheibe. Die Frage, die er gestellt hatte, hatte sie bereits gehört, sowohl von Helena als auch bei den Telefonaten, die sie am gestrigen Tag geführt hatte. Keins davon hatte die Reaktion hervorgerufen, die sie erwartet hatte. Nach diversen Umwegen war sie schließlich auf Verner zu sprechen gekommen, aber die Entrüstung, die sie erhofft hatte, war ausgeblieben. Man hatte nur ein wenig über seine Alarmsignale gekichert, einer hatte erzählt, dass Verner bei Bedarf als Sargträger bei Begräbnissen auftrat, eine andere, dass sie mit Interesse seine Mitteilungen an der Anschlagstafel der Kirche las. Zu ihrem Erstaunen hatte keiner von ihnen besonders empört reagiert. Eigentlich hatte sie diese Sache bis auf weiteres auf sich beruhen lassen wollen, aber Helenas Verrat hatte es zu einer reinen Prinzipiensache gemacht. »Ich finde trotzdem, dass wir mit den Kindern über das Häuschen sprechen sollten. Vielleicht wollen sie sich an den Kosten der Renovierung beteiligen.«
»Das glaube ich kaum, meine jedenfalls nicht. Wozu brauchen sie das Häuschen, wenn sie uns besuchen?«
Sie wollte eine Zigarette anzünden und wünschte, sie könnte sich ein eigenes Auto leisten. Das letzte hatte sie vor acht Jahren bei der Scheidung abgeben müssen, als sie das Vermögen aufgeteilt hatten. Sie war froh gewesen, ihn, der am meisten gefahren war, los zu sein, aber das Auto hätte sie gern behalten. Im Nachhinein verstand sie nicht, wie sie es so lange mit ihm hatte aushalten können, aber die Gewohnheit war eine Macht, die leicht unterschätzt wurde. Seine Trunksucht hatte die Wochenenden in eine immer wiederkehrende Plage verwandelt.
Die Kinder kamen aus der ersten Ehe, die sie geschlossen hatte, als sie achtzehn war. Von vornherein zum Scheitern verurteilt. Für ihre jungen, wissbegierigen Hände war es schwer, sie von dem zu lassen, was nach der Hochzeit verboten war. Ihre Fehltritte schob sie auf jugendlichen Unverstand. Aber als sie herausfand, dass ihr Mann ein Verhältnis mit der Nachbarin hatte, war er einen Schritt zu weit gegangen, und mit der Ehe war es vorbei. Danach mussten die Kinder zwischen den Reibungsflächen aufwachsen, die entstehen, wenn zwei Hälften nicht mehr zusammenpassen. Er war schon seit langer Zeit wieder verheiratet, hatte weitere Kinder bekommen und wohnte mittlerweile in Göteborg.
Manchmal überfiel sie die Einsamkeit, schwer und drückend. Vor allem an den Abenden, wenn die Dunkelheit anbrach und niemand nach Hause kommen würde. Ein Gefühl, ihrem Schicksal ausgeliefert zu sein. Sie war übrig geblieben, nachdem alle anderen sich entschieden hatten und das Gesetzliche geregelt war. Eine wie sie wurde nur geduldet.
Das Auto bremste vor dem Anwaltsbüro. Lasse steuerte den Parkplatz an, und nachdem das Auto gehalten hatte, stieg er mit raschen Bewegungen aus. Er ging zur Haustür, ohne sich zu bemühen, auf sie zu warten. Anna-Karin blieb sitzen. Sie fühlte plötzlich, dass sie den Tränen nahe war.
Nach dem Treffen würde Lasse nach Hause zu Lisbeth fahren, erzählen, was gesagt worden war, und alles mit ihr teilen. Sie konnten in ihrer hässlichen Küche sitzen und zusammen eine Tasse Tee trinken, besprechen, was geschehen war, sich über das weitere Vorgehen einigen und danach über andere Dinge aus ihrem Leben reden.
Das konnte Anna-Karin nicht.
Keiner war da, um zuzuhören, und es gab nichts anderes zu besprechen.
Und von jetzt an würde sie nicht einmal mehr zu Helena hinübergehen können.
Kapitel 16
Ein Zimmer, irgendwo. Das Haus gehört ihr, aber alles erscheint ihr so unbekannt. Sie erinnert sich, dass in einem der Kartons eine Hochdruckspritze liegt, weiß aber nicht mehr, wo sich der Vorratsraum befindet. Diese verdammte Hochdruckspritze, sie weiß, dass sie schon
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