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Einem Tag in Paris

Einem Tag in Paris

Titel: Einem Tag in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Sussman
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ist das?«
    »Küss mich«, sagte Simon.
    Josie kann hören, wie die Schuhverkäuferin und der Privatlehrer miteinander reden. Sie hört die Worte petite amie: Freundin. »Passiert Ihrer Freundin das oft?«
    Der Privatlehrer berichtigt sie nicht. »Nein«, sagt er. »Sie fühlt sich heute nicht gut.«
    Josie wäscht sich die Hände in dem winzigen Waschbecken im hinteren Teil des Geschäfts, während sie überlegt, ob sie ein Paar Schuhe in ihrer Tasche verschwinden lassen soll. Sie hat in ihrem ganzen Leben noch nie einen Ladendiebstahl begangen, aber wer weiß, wozu sie jetzt fähig sein könnte? Die Verkäuferin wollte sie nicht auf die Toilette ihres Schweinchenladens lassen, aber Josie war trotzdem hinter den Vorhang marschiert und hatte eine Toilette gefunden, in die sie sich übergeben konnte. Besser als auf den weißen Marmorboden. Sie nimmt ein Paar rote Schuhe.
    Warum sollte sie eigentlich am Sonntag nach Hause fliegen? Warum nicht in Paris bleiben und Nicos Freundin und eine Ladendiebin teurer Schuhe werden?
    Sie stellt die Schuhe zurück ins Regal. Sie geht zurück in den Verkaufsraum.
    »Ça va?«, fragt Nico. Er sieht besorgt aus. Die meisten seiner Schüler sind keine schwangeren, verrückten Damen, nimmt sie an.
    »Ça va.« Sie seufzt und schenkt ihm ein Lächeln. Der Ärmste. Er hat etwas Besseres als Freundin verdient.
    »Ich will die Schuhe nicht«, erklärt sie der Verkäuferin. »Offenbar bin ich allergisch dagegen.«
    Nico nickt und nimmt sie beim Arm, führt sie aus dem Geschäft.
    »Weiß Ihr Freund Bescheid?«, fragt Nico sie, als sie wieder auf der Straße sind. Sie stehen nah beieinander, mitten im Einkaufsgewühl zwischen lauter Leuten, die alle extravagante Schuhe tragen.
    Sie wundert sich nicht; dieser Privatlehrer scheint ein Alleskönner zu sein. Warum sollte er nicht auch ihre Geheimnisse erraten können? Sie schüttelt den Kopf.
    »Wird er sich freuen?«, fragt er.
    »Ja«, sagt sie entschieden. »Er wird sich sehr freuen.«
    »Gut«, sagt Nico. »Ich hatte einmal eine Freundin, die sich von mir trennte und mich dann, einen Monat später, anrief, um mir zu sagen, dass sie schwanger ist. Sie wollte das Kind bekommen. Ich sagte ihr, ich würde das Kind mit ihr zusammen großziehen. Sie sagte, sie würde nach Marokko ziehen und mir ab und zu Fotos des Kindes schicken. Ich habe nie wieder von ihr gehört.«
    »Das ist ja schrecklich.«
    »Ich muss ständig daran denken. Das Kind wäre jetzt drei. Ich schlendere über Spielplätze und halte nach ihm Ausschau. Oder ihr.«
    Donner grollt über den Himmel.
    »Sehen wir zu, dass wir irgendwohin kommen«, sagt Nico, »bevor es regnet.«
    Aber der Himmel reißt bereits auf, und der Regen peitscht ihnen ins Gesicht. Josie spürt, wie Nico ihr den Arm um den Rücken legt und sie die Rue de Grenelle hinunterführt. Sie hat nichts gegen den Regen, und sie hat nichts gegen Nicos Arm auf ihrem Rücken. Sie wird sich dieser Sache hingeben, entscheidet sie. Der heutige Tag ist leichter als jeder andere Tag in den letzten Wochen.
    Nico öffnet eine Tür und führt sie hinein. Es ist ein kleines Museum, auch wenn es gar nicht wie ein Museum aussieht. Es hat Gewölbedecken und helle Marmorwände und -böden. Auf einem Schild steht: MUSÉE MAILLOL. Ein Jugendlicher sitzt hinter einem Kassentresen und kaut Kaugummi; er sieht nicht einmal auf. Josie blickt sich um – sie sieht niemanden sonst in dem Gebäude. Vor ihnen steht eine riesige Statue eines nackten Mannes.
    Nico führt sie an den Kassentresen und kauft zwei Eintrittskarten.
    »Ich kann bezahlen«, sagt sie.
    »Nein. Bitte.«
    Der Junge schnalzt mit seinem Kaugummi und schiebt sein Comicheft unter den Tresen. Er reicht ihnen die Eintrittskarten und ein Faltblatt: Marilyn Monroe – die letzten Fotografien.
    Sie gehen durch das Drehkreuz. Es ist niemand da, um ihre Eintrittskarten abzureißen. Als Josie zurücksieht, liest der Junge wieder in seinem Comic. Für einen Moment sieht er wie Brady aus, ernst und schüchtern. Brady, bevor er ein Star wurde. Brady früher.
    Sie legt sich eine Hand auf den Bauch. Die Übelkeit ist vorbei, jetzt fühlt sie sich schwindelig und ein bisschen benommen. Sie war noch nie schwanger, hat sich noch nie überlegt, ein Kind zu bekommen. Sie hatte gedacht, das hätte noch Jahre Zeit, wenn sie verheiratet war und nicht mehr als Lehrerin arbeitete, sondern Theaterstücke schrieb, ihre eigentliche Leidenschaft. Sie hatte sich einen jungen Ehemann vorgestellt, mit einem

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