Einem Tag in Paris
Marilyns Mund, in ihren Augen, in der Kurve ihrer ausladenden Hüfte. Komm wieder ins Bett.
Nico ist an ihrer Seite.
»Haben Sie eine Freundin?«, fragt sie. Une petite amie. Sie liebt diesen französischen Ausdruck. Kleine Freundin. Selbst ein Freund ist ein petit ami. Auf ihren Lippen schmecken die Worte so süß, wie sie klingen.
»Nein«, sagt Nico. »Ich habe auf Sie gewartet.«
»Aber ich bin schon vergeben«, sagt sie zu ihm. Ihr Ton ist so leicht wie der Rauch, der von Marilyns Zigarette aufsteigt.
Hier, in diesem Raum mit Marilyn, riecht alles nach Sex. Es ist, als hätten sie es eben getan und würden es gleich wieder tun. Komm wieder ins Bett.
»Wenn Sie schon vergeben wären«, sagt Nico, »dann wären Sie nicht so extrem traurig.«
»Warum hast du keinen Freund?«, hatte Josies Vater sie gefragt, als er am Morgen nach ihrer Rückkehr aus San Francisco vor ihrem Haus stand, am Morgen nach ihrer Nacht mit Simon im Clift Hotel.
Er saß in ihrer winzigen Küche, trank Kaffee, vermutlich seine fünfte oder sechste Tasse an diesem Tag. Er war von San José nach Marin hochgefahren, um sie zu überraschen. Es war der Jahrestag des Todes ihrer Mutter, aber das erwähnten sie nie. Er war da, der Gedanke an sie, in der Luft zwischen ihnen, den ganzen Tag. Sie redeten über ihren tollen Job an der College-Vorbereitungsschule, seinen armseligen Lebensmittelladen, ihre ehemals beste Freundin Emily, die neben ihrer alten Ma lebte, seine Herzgeräusche mitten in der Nacht, aber sie redeten nie über ihre verstorbene Mutter, seine Frau.
»Ich habe keine Zeit, Dad. Ich arbeite zu viel.«
»Ein junges Mädchen sollte nicht so viel arbeiten.«
»Ich mag meine Arbeit«, sagte sie, während sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzte. »Ich liebe sie.«
»Liebe. Liebe ist für einen Freund da, nicht für einen Job.«
Er sah alt aus, ihr Vater, inzwischen fast ohne Haare, die Haut von Altersflecken gesprenkelt, Hängebacken. Sie rechnete nach: fünfunddreißig Jahre älter als sie – und nur zehn Jahre älter als Simon. Unglaublich, dachte sie. Simon war sportlich und kräftig, auch wenn sie manchmal sah, wie sich seine Haut im Schlaf auf eine Art entspannte, die sie verblüffte. Es sah aus, als würde sie sich von seinen Knochen lösen und als wäre er auf einmal verletzlich, weich. Irgendetwas an diesem Bild berührte sie, als bräuchte er ebenfalls jemanden, der auf ihn aufpasste.
Aber ihr Vater war alt und verschroben und ohne Bezug zu ihrer Welt. Simon kam ihr nicht alt vor. Sicher, es lagen Welten zwischen ihm und den Typen, in die sie sich normalerweise verknallte – den langhaarigen, zerknitterten, nuschelnden Jungen. Den Jungen, die zu schnell kommen. Den Jungen, die die Kleider von gestern noch einmal anziehen. Den Jungen, die in Kellern wohnen und nach Marihuana und Bier riechen.
»Gibst du auch gut auf dich acht, Dad? Gehst du immer noch jeden Tag spazieren?«
»Meinst du, ich sitze nur da und tue nichts? Meinst du, ich werde dick?«
»Du wirst nicht dick, Dad. Du siehst toll aus.«
»Du redest dummes Zeug.«
Sie lächelte. Das war typisch für ihre Eltern gewesen, solche Kabbeleien. Er freute sich wie ein Schneekönig, als hätte er soeben vor einer staunenden Menge die Muskeln spielen lassen.
»Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte er.
»Du sollst dir keine Sorgen machen«, sagte sie sanft. »Ich kann auf mich aufpassen.«
»Wer ist denn nun dieser Freund?«
»Es gibt keinen Freund, Dad. Das habe ich dir doch schon gesagt.«
»Hast du Kuchen da?«
Josie stand auf und ging in die Speisekammer. Sie nahm einen Laib Vollkornweizenbrot, schnitt ein paar Scheiben ab und steckte sie in den Toaster. Während sie Marmelade, Butter, Teller und Messer zusammensuchte, erzählte ihr Dad ihr von Emilys neuem Freund, einem Anwalt in San José.
»Freut mich für Emily«, sagte Josie, während sie ihrem Dad das Brot hinstellte.
»Du und Emily, ihr wart doch unzertrennlich. Du konntest nirgends hingehen ohne deine beste Freundin.«
»Das ist lange her, Dad.«
»Nennst du das Kuchen?«
»Ich habe nichts anderes da.«
»Ich hätte dir sagen sollen, dass ich komme. Dann hättest du mir einen Kuchen kaufen können.«
»Ich hätte dir einen Kuchen gekauft, Dad«, sagte Josie lächelnd.
»Ab und zu mache ich gern eine kleine Überraschung. Aber das ist der Preis, den ich dafür bezahle.« Er hielt das getoastete Vollkornbrot hoch.
»Du musst Marmelade darauf streichen«, drängte Josie ihn. »Sonst
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