Einem Tag in Paris
Häuschen auf dem Land, ein paar großen Hunden und einem Gemüsegarten.
Aber sie ist schwanger, ohne den Mann, den Job, das Haus, die Hunde. Genau genommen ist es alles, was sie hat. Dieses Kind.
Sie hat kein Recht auf dieses Kind. Sie denkt an Simons Frau auf der Beerdigung, ihre aschfahle Haut, ihre ausdruckslosen Augen. Die Frau erinnerte sich nicht an Josie. Sie nickte, nahm Beileidsbekundungen entgegen, die nichts bedeuteten. Nichts konnte diese Trauer durchdringen. Welches Recht hatte Josie auf ihre Trauer?
»Sie ist tragisch, stimmt’s?«, fragt der Privatlehrer.
Josie hebt den Blick. Marilyn Monroe starrt zu ihr zurück, den Mund leicht geöffnet, die Augen halb geschlossen. Sie sieht berauscht aus, vom Sex, vom Suff, vom Tod. Sie sieht sinnlich und reif aus und bereit zu sterben. Josies Augen werden feucht. Sie tritt einen Schritt zurück, fort von dem verführerischen Blick. Sie befinden sich in einem Galerieraum, der voll von Marilyn ist. Jedes Foto – und die Fotos sind riesig, gehen bis an die Grenzen des Raums – zeigt Marilyn. Marilyn mit zurückgeworfenem Kopf, ein befriedigtes Lächeln im Gesicht. Marilyn, die an einer Zigarette zieht. Marilyn, die die Lippen spitzt. Marilyn, eine Hand auf ihre kurvenreiche Hüfte gelegt, ausgestreckt auf einem Sofa, sich anbietend. Liebe mich.
»Sie hat sich drei Tage nach diesem Fotoshooting das Leben genommen«, liest Nico aus der Broschüre vor.
»Man kann sehen, dass sie bereit war«, sagt Josie.
»Zu sterben?«
»Sich dem Tod hinzugeben. Es sieht aus, als ob sie bereits im Sterben lag.«
»Sie werden das Kind doch bekommen, oder?«
Josie sieht ihn an. Nico. Er hat solch freundliche Augen. Sie stellt sich sein süßes Kind mit Augen wie diesen vor. Es ist ein Junge, und er hält die Hand seiner Mama, während sie in Marrakesch über den Markt gehen. Er hat einen dichten, sandfarbenen Haarschopf, und alle bleiben stehen, um dieses entzückende Kind anzustarren.
»Ja«, sagt sie. In dem Augenblick, in dem sie es sagt, macht sie es wahr. »Er gehört mir.«
»Ist es ein Junge?«
»Ich glaube schon«, sagt sie. Sie trägt Simons Jungen in ihrem Bauch. Es ist nicht fair. Seine Frau hat nichts. Und sie hat dieses Kind.
»Ihr Freund kann sich sehr glücklich schätzen.«
Sie lächelt. Ihr Lächeln bricht, und Tränen kullern ihr aus den Augen.
»Entschuldigung«, sagt Nico.
»Nein, nein. Es sind nur die Fotografien«, sagt Josie zu ihm. »Sie sind so traurig. Sehen Sie sich diese hier an.« Sie dreht sich wieder zur Wand um, zu Marilyns überschattetem Gesicht. Sie kann den Regen auf das Glasdach trommeln hören, das den Innenhof überspannt. Er klingt wie eine unheilverkündende Filmmusik – eine Armee ist im Anmarsch oder ein Verrückter im Begriff, in jemands Haus einzubrechen. Sie schlingt die Arme um sich. Ihre Haut ist noch immer nass vom Regen, und auf einmal ist ihr kalt.
»Hatte sie nicht eine Affäre mit Ihrem Präsidenten Kennedy?«, fragt Nico.
»Ich glaube schon«, sagt Josie. »Damals konnten sich amerikanische Präsidenten solche Techtelmechtel offenbar noch erlauben.«
»Nicht mehr. Hierzulande lachen wir über das, was Clinton passiert ist. Warum sollte sich irgendwer darüber aufregen?«
»Außer seiner Frau«, sagt Josie.
»Ja. Es ist ein privates Problem. Kein öffentliches. Es hat nichts mit Politik zu tun.«
»Ich frage mich«, sagt Josie, während sie in Marilyns verträumte Augen starrt, »womit es etwas zu tun hat. Warum Männer betrügen. Warum sie mit hübschen Mädchen im Bett landen.«
»Solange sie in den Armen einer schönen Frau liegen, sind sie unbesiegbar«, sagt Nico.
»Dann sollten sie dortbleiben«, sagt Josie leise.
»Reden wir noch immer von Ihren Präsidenten?«
Josie gibt keine Antwort. Sie schlendert an der Wand mit Marilyn entlang. Sie ist wie berauscht von Marilyn, auf Sexmieze und Schlampe getrimmt, als hätte man ihr die eigene Bettdecke weggezogen und sie bloßgestellt.
Einmal, nachdem sie und Simon sich in ihrem Häuschen geliebt hatten, war sie eingeschlafen. Als sie aufwachte, sah sie ihn neben ihrem Bett stehen und auf sie hinuntersehen. Er war angezogen, bereit zum Aufbruch, wartete darauf, sich zu verabschieden. Er konnte sie nicht wecken. Er sagte ihr, dass er schon seit einer halben Stunde dort stünde, dass er schon spät dran sei für eine Besprechung, weil er den Blick nicht von ihr abwenden konnte.
»Komm wieder ins Bett«, hatte sie gesagt.
Er hatte es getan.
Es liegt in
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