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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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erstreckten.
    Hier war das Reich der Sportbuben. Auch sie fuhren nie in den Urlaub, auch sie kamen aus sogenannten»einfachen Verhältnissen«, blieben aber trotzdem unsympathisch. Sie waren Vereinssportler, ewige Amateure. Die lokale Presse war ihnen zugetan, ihre Verstauchungen, ihre großen Momente, die Tore und knappen, unglückseligen Niederlagen füllten regelmäßig die Spalten. Sie fühlten einen Glanz auf ihrem Leben, wie er sonst nur frisch gefallenen Kastanien zukommt. Man nannte sie bei ihren Bubennamen – Hannes, Seppi, Jackl. Hannes, Seppi, Jackl seitenlang, tagelang. Die ewigen Buben. Sie trainierten fleißig, rannten auf Pfiff von der Grund- zur Mittellinie, gingen in die Hocke und wieder hoch und wieder runter, Liegestütze, zwei, drei und: Schneller, schneller, Fred! Oder soll ich dir Feuer unterm Arsch machen? Johanna und ich warteten immer eine intensive Trainingseinheit ab. Der Puls musste ihnen das Hirn zerschlagen, in ihrem Hals musste der Atem brennen, sie mussten japsen und Schmerzen haben, die Anweisungen des Trainers mussten im Stakkato auf sie niederprasseln. Erst dann, wenn sich ihre Kräfte erschöpften und sie kurz vor dem Kollaps standen, waren wir vor ihrer Aufmerksamkeit, vor ihren gemeinen Kommentaren und Bosheiten sicher und konnten unbehelligt an ihnen vorbei zum Campingplatz gehen.
    »Zwei Sky, bitte«, sagte Johanna.
    Der Campingplatzwart kramte in der Gefriertruhe.
    »Ihr seid doch nicht vom Platz«, sagte er.
    »Nein, sind wir nicht«, sagte Johanna, »können wir jetzt bitte zwei Sky haben?«
    »Drei Mark, die Damen.«
    »Na also, geht doch!«, sagte Johanna und grinste.
    Wir packten unser Eis wie Staffelstäbe und rannten los, bremsten ab, als der Fußballplatz ins Blickfeld kam – große Schritte, aber nicht laufen, Annemut, nicht laufen, keine Aufmerksamkeit erregen. Erst an der Koppel war das Spiel zu Ende. Wir setzten uns auf den Zaun, überblickten die Bundesstraße und rissen die knisternde, blaue Folie auf. Mit den Zähnen bröckelten wir dann die dünne Schokoladenschicht ab und begannen, den von Vanilleeis umhüllten Luftschokoladenkern freizulegen. Unsere Art, das Eis zu essen. Es war eine Sauerei. Wir vergaßen darüber die lärmenden Rudel der Sportbuben, sie waren auf dem Nachhauseweg, wir beachteten sie nicht, waren konzentriert und hingegeben. Doch an einem Abend, der genauso begann wie alle anderen zuvor, an einem der Tage aus der langen Kette harmloser Tage am Wasserfall, brachen die Sportbuben dann doch über uns herein. Ihre brüchigen, hormonzerschundenen Stimmen platzten in unser friedliches Vakuum aus Vanilleeis, Luftschokolade und aufgekratzten Mückenstichen. Sie hatten ihre Herrenräder an sich gerissen, hatten sich elegant über die Stange geschwungen, an der wir immer hängen blieben. Jetzt standen sie in den Pedalen. Sie galoppierten. Ihre kleinen, eckigenHintern wackelten über den schmalen Sätteln. Sie achteten nicht auf den Verkehr, den es zuweilen sogar hier geben konnte. Oh, was war das für eine Welt mit durchgezogenen Linien und Gegenverkehr, wie lachhaft ihnen das erscheinen musste. Ihre glatten, gebräunten Körper wie aus einem Guss, wie Schatten, schlank und unverwundbar. Ich stellte mir ihren anschwellenden, blutigen Herzmuskel vor und sah, wie die zusammengebundenen Stollenschuhpaare gegen ihre Brustkörbe donnerten. Weiß schimmernde Siegesabzeichen, ihre Rippen, die hervortraten, wenn sie sich, zu neuen Grausamkeiten ansetzend, nach vorne beugten. Erhobene Arme, ein Zeichen für die Armeen, die sie sich einbildeten. Ihre verschwitzten T-Shirts baumelten über ihren wackelnden Hintern. Sie hatten sie zusammengerollt und ein Ende hinten in die Hose gestopft, jetzt versuchten sie, sie einander abzujagen. Manche benutzten ihr Stollenschuhbündel als Lasso, empörte grelle Schreie der anderen, für die da der Spaß aufhörte. Bald zogen sich Blutfäden über ihre Lippen bis auf das Kinn. Vanilleeis verklebte meine Finger. Ich umklammerte den Luftschokoladenkern. Aus den Augenwinkeln sah ich Johanna, hoch aufgerichtet, den Rücken kerzengerade, sie drohte nach hinten überzukippen, sie war wie versteinert. Die schweißgetränkten T-Shirts. Die Heiligkeit des Sports. Wir bekreuzigten uns über unseren armseligen Brustablegern. Atmeten tief ein. Moschusochsen.

5.
    Die Eisheiligen gingen unbemerkt vorüber: kein Frost, kein Schnee, kein Regen. Juni. Die Hitze legte sich zwischen Schandten und die Ausläufer des Lohengebirges, über die

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