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Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition)

Titel: Einen solchen Himmel im Kopf: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi , Stephanie Gleißner
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den wackligen Anschlussblechen zwischen zwei Waggons. Er kauerte vornübergebeugt auf den eingelassenen Stufen. Wir erkannten ihn an seinem khakifarbenen Bundeswehrparka, der bis zur Kapuze hinauf mit Schneematsch vollgesogen war. Er wippte leicht vor und zurück. Johanna fiel, ohne zu zögern, ohne ihn vorher angesprochen zu haben, neben ihmauf die Knie. Sie drückte ihre Knie in den zentimeterdicken Schneematsch, umfasste mit einem Arm seine Schultern, mit der anderen Hand strich sie ihm über das Haar. Es war unangenehm, die beiden zu betrachten, die Intimität von Johannas Gesten beschämte mich. Sie zog seinen Kopf zurück. Er wandte ihr das Gesicht zu – von der Augenbraue quer über die Stirn eine Wunde. Blut lief ihm über die rechte Schläfe und Wange, seine Oberlippe war geplatzt. Johanna hielt seinen Oberkörper im Arm, sein Kopf lag jetzt auf ihrer Brust, sie redete auf ihn ein, leise und beschwörend – »Wo hast du Schmerzen? Wer war das?« –, und als er dann den Mund öffnete und hinter den quellenden Blutblasen die angebrochenen Zähne zu erkennen waren, murmelte sie: »Sch. Sch. Ist ja gut, ist ja gut.« Sie zog ihre Lederjacke aus, breitete sie über dem Schneematsch aus und legte dann Karls Oberkörper und sein blutendes Gesicht auf das Lammfellfutter. Dabei rutschten ihm das offene Schulheft und der Zirkel, mit dem er gerade noch eine Mittelsenkrechte konstruiert hatte, von den Oberschenkeln. Johanna hatte meine Anwesenheit vergessen. Sie erschrak, als sie mich an die Wand gelehnt stehen sah, und befahl dann: »Hol den Zugführer, der soll einen Krankenwagen zum Bahnhof kommen lassen.«
    Johanna hatte nichts mit Karl Rieder zu schaffen, niemand hatte etwas mit ihm zu schaffen, niemandwollte ihn kennenlernen, er interessierte nicht. Er saß bei den Alten auf den Bänken vor der Kirche, und auch sie interessierten sich nicht für ihn, ihnen genügten die Kenndaten einer äußeren Existenz: Vater Kfz-Mechaniker, spezialisiert auf Landwirtschaftsnutzgeräte, Mutter geborene Schwaiger, trägt das Kirchenblatt aus, keine weiteren Kinder. Warum? – Wird halt nicht geklappt haben, wer kann das schon sagen? Verschämtheit, die sofort in Unverschämtheit und Derbheit wechselte. Sie ließen ihn bei sich sitzen, das Reden übernahmen sie, und bald schon bemerkten sie seine Anwesenheit nicht mehr. Das war die Art des Rieder Karl, dass man ihn so schnell nicht mehr bemerkte. Und eine andere Art des Rieder Karl war es, dass, hatte man ihn einmal bemerkt, man sich fragte, was mit ihm gewesen war all die Jahre, in denen man ihn nicht bemerkt hatte. Er hatte etwas Verschlagenes, schaute einem nicht ins Gesicht, sondern seitlich vorbei oder auf den Boden. Und geredet hat er auch nicht, dafür hatte man ja Verständnis, aber er hätte doch auch anders grüßen können, mit einem Blick, einem Nicken. Und wenn er einen dann doch einmal anschaute, dann durchdringend und verachtungsvoll. Ein Blick, wie ich ihn haben würde, wenn ich zurückkehrte ins Hinterland. Es fehlte nur noch, dass er ausspuckte, aber das tat er nie. Meist stierte er gleich wieder zu Boden. Ich mochte Karl Rieder nicht.
    Ich war erleichtert, dass Johanna sich damit begnügte, ihn im Arm gehalten, sein ramponiertes Gesicht an ihre Brust gedrückt und sein Blut auf dem Futter ihrer Lederjacke zu haben. Jedenfalls zeigte sie kein Interesse mehr an ihm, nachdem er am Bahnhof auf einer Trage abtransportiert worden war. Wenn sich unsere Wege mit dem von Karl Rieder kreuzten, dann sagte sie: »Hallo, Karl«, und das war tatsächlich eine Besonderheit, denn Johanna grüßte immer nur förmlich, und sie nannte dabei nie den Namen des Gegrüßten. Karl Rieder nickte ihr dann zu, was genauso ungewöhnlich war. Es blieb bei diesen kleinen Ungewöhnlichkeiten, darüber hinaus kam es zu keiner weiteren Annäherung zwischen den beiden.

2.
    Wir waren auf das Hinterland eingeschworen. Wir kannten jede Hausfassade, kannten die darauf abgebildeten Heiligenlegenden, und die Menschen, die diese Häuser bewohnten, kannten die Verzweigungen ihres Clans, wussten, dass sie eigentlich keinen Sinn für die pastellfarbene Heiligkeit auf ihren Häusern haben, und trotzdem halten sie sie instand seit Jahrhunderten und gehen in die Messe und können auch damit die meiste Zeit nichts anfangen. Sie beten gern und viel, am liebsten immer dasselbe und sehrschnell. Über die Worte, aus denen ihre Gebete zusammengesetzt sind, möchten sie nicht nachdenken. Sie mögen den

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