Eines Abends in Paris
gleich zum Ausgang gerannt.«
»Wer weiß«, mutmaßte Robert, »vielleicht ist sie mit so einem gefährlichen Typen zusammen, der ihr gedroht hat, dass etwas Schlimmes passiert, wenn sie dich noch ein einziges Mal trifft. Vielleicht will sie dich schützen. So wie diese … Elena Green aus dem James-Bond-Film.«
»Eva Green«, korrigierte ich missmutig. »Ja, sicher, so wird’s sein. Dass ich da nicht schon von selbst draufgekommen bin!«
»Was denn, ich versuche nur, mich nützlich zu machen.« Robert ließ sich nicht beirren. »Ha! Ich hab’s! Es ist die Zwillingsschwester!« Diese Idee schien ihm zu gefallen. »Ich kannte auch mal Zwillingsschwestern – ich sage dir, du hättest die beiden nicht auseinanderhalten können, beide blond, beide Sommersprossen, beide diese Wahnsinnsfigur, ich hab die ganze Zeit über gedacht, ich bin betrunken und sehe alles doppelt.« Er schnalzte mit der Zunge. »Das ist es! Hast du schon mal daran gedacht, dass sie eine Zwillingsschwester haben könnte?«
»Ja, ja.« Ich klemmte mir den Hörer zwischen Schulter und Ohr und bestrich mir ein Stück Baguette mit Butter und Marmelade. Natürlich hatte ich daran gedacht. Es gab nichts, woran ich noch nicht gedacht hatte in den letzten Stunden. »Natürlich könnte das sein. Theoretisch. Aber warum sollte ihre Zwillingsschwester, die mich gar nicht kennt, vor mir weglaufen? Das ist doch absurd. Ich meine, so furchterregend sehe ich ja nun nicht aus, dass irgendjemand vor mir Reißaus nehmen müsste.«
»Das ist wohl wahr.« Robert überdachte meine Worte und ich dachte an meinen durchaus furchterregenden Auftritt in der Métro-Station, wo ich herumgeschrien und gegen die Wagentür getreten hatte.
»Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, dass die Angelegenheit sich endgültig erledigt hat. Und jetzt taucht diese rätselhafte Frau wieder auf. Das ist wirklich zum Verrücktwerden.« Robert seufzte.
»Ja«, sagte ich und seufzte auch. »Frag mich mal.«
Dann schwiegen wir beide.
»Du musst damit aufhören, Alain«, sagte er schließlich. »Das alles führt zu nichts. Das ist wie mit den schwarzen Löchern. Je mehr du sie fütterst, desto größer werden sie. Am besten, du verbuchst die ganze Sache unter ›Ungelöste Rätsel des Universums‹ und steckst deine Energien in realistischere Projekte.«
Ich ahnte, was er als Nächstes sagen würde.
»Du kommst doch zu meinem Essen am Freitag? Anne-Sophie freut sich schon auf dich.«
»Anne-Sophie?«, fragte ich bedrückt.
»Ja. Die Freundin von Melissa.«
»Ach so.« Ich hatte schon euphorischer geklungen. »Ich weiß nicht, ob das gerade so viel Sinn macht, Robert. Ich bin in einem total desolaten Zustand …«
»Meine Güte, Alain, jetzt reiß dich mal zusammen. Das ist ja schlimm mit deinem Selbstmitleid. Was ist denn schon passiert?«
»Genug«, sagte ich. »Ich habe einen verstauchten Fuß und ein blaues Auge …«
»Ein blaues Auge?« Ich hörte Roberts erstauntes Lachen. »Hast du dich etwa mit jemandem geprügelt?«
»Nein, jemand hat sich mit mir geprügelt«, knurrte ich. »Solène Avrils eifersüchtiger Freund war in Paris und hat alle Männer in ihrem Umfeld mit der Faust niedergestreckt. Auch noch.«
»Wow!«, sagte Robert. »Du führst wirklich ein aufregendes Leben. Berühmte Schauspieler und geheimnisvolle Psychopathen, Verfolgungsjagden und Prügeleien – Bruce Willis ist dagegen ein Dreck.« Er pfiff anerkennend durch die Zähne. »Ein blaues Auge«, wiederholte er beeindruckt. »Na, das sind doch beste Voraussetzungen für einen interessanten Abend! Frauen finden so was attraktiv …«
»Bitte, Robert! Ich bin fix und fertig. Lass uns das Essen einfach verschieben. Ich bin nicht in der Stimmung, mit irgendwelchen Mädchen zu parlieren, so nett sie auch sein mögen. Mein Herz ist gebrochen.«
»Ach, du meine Güte, Alain, jetzt sei nicht so pathetisch, du klingst wie eine Seifenoper. Herzen können gar nicht brechen.«
Mit zusammengebissenen Zähnen ertrug ich sein Gelächter und hatte nur einen Wunsch: Robert sollte sich einmal, ein einziges Mal nur, so rettungslos verlieben, dass er es am eigenen Leibe spürte, wie das war, wenn das Herz mit einem leisen Ping zerbrach. Und dann würde ich lachen.
»Ja, lach nur«, sagte ich. »Warte nur, bis es dich erwischt! Du weißt nicht, wie das war, sie so mit der Métro wegfahren zu sehen … Sie überhaupt wieder zu sehen. Das Bild geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich kam nach Hause und konnte nicht schlafen.
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