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Eines Abends in Paris

Eines Abends in Paris

Titel: Eines Abends in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Barreau
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selbst gesehen.« Er nickte, und ich begriff erst gar nicht, was ich da gerade gehört hatte. »Ich kenne das Haus mit dem Kastanienbaum«, fuhr der Professor fort. »Es liegt gegenüber von einem Schreibwarenladen, nicht wahr?«
    »Ja!«, rief ich und hatte das Gefühl, dass mir das Adrenalin durch alle Fasern meines Körpers schoss. »Ja! Also doch … Aber wieso …« Ich verstummte hilflos.
    »Einmal in der Woche besuche ich in der Rue de Bourgogne einen alten Freund, wir kennen uns noch von der Universität und er ist inzwischen leider fast erblindet. Sein Name ist Jacob Montabon. Und irgendwann Ende März – ich glaube, es war sogar kurz vor ihrer Verabredung – bin ich der jungen Frau im Treppenhaus begegnet und wir haben ein paar Worte gewechselt. Sie erzählte mir, dass sie eine Woche bei ihrer Freundin wohne, um deren Katze zu hüten. Sie war wirklich ganz reizend.«
    Und da endlich fügten sich die vielen Puzzleteilchen zu einem großen Ganzen. Ich dachte an einen großen schwarzen Kater mit grünen Augen, der von der Kastanie im nächtlichen Hof gesprungen war, und hätte fast einen Triumphschrei ausgestoßen. Ich dachte an die Wohnungstür in der zweiten Etage, hinter der das aufgeregte Miauen einer Katze zu hören gewesen war. Ich dachte an eine Katze, die immer nur aus Blumenvasen trank, das Tier von Mélanies Freundin, jener Freundin, die in der Bar eines Grand Hotels arbeitete. Ich dachte an die keifende Stimme Tashi Nakamuras, der mir versichert hatte, seine Nachbarin sei abends sowieso nie da und wenn sie spät in der Nacht nach Hause käme, würde sie rücksichtslos die Türe knallen.
    Es war die Nachtschwärmerin!
    Die Nachtschwärmerin war Mélanies Freundin, die nie am Mittwoch mit ins Kino kommen konnte, weil sie dann arbeitete. Und ihr Name war … Wieder sah ich Monsieur Nakamura vor mir.
    »Leblanc!«, stieß ich hervor. »Ihre Freundin heißt Leblanc.«
    Der Professor überlegte einen Moment. »Ja, ich glaube, das hat sie gesagt – Leblanc. Linda Leblanc.«
    Ich sprang auf und umarmte den Professor. Dann stürzte ich zur Tür.
    »He! Monsieur Bonnard. Sie haben Ihr Mobiltelefon liegen lassen«, rief er mir nach. Aber da war ich schon auf der Straße.

30
    »Warten Sie hier – ich bin gleich wieder da!«, rief ich dem Taxifahrer zu, als wir vor dem Haus in der Rue de Bourgogne parkten. Ich sprang aus dem Wagen und drückte wie ein Wahnsinniger auf die Klingel, die zu dem Messingschild mit dem Namen Leblanc gehörte. Keiner meldete sich. Ich hatte es mir schon gedacht, aber ich wollte ganz sicher gehen.
    Ich riss die hintere Wagentür wieder auf und ließ mich auf den Sitz fallen. »Es geht weiter!«, rief ich. »Ins Ritz, bitte. Vite, vite! Machen Sie schnell!«
    Der Taxifahrer, ein dunkelhäutiger Senegalese, dem das Wort »schnell« nichts zu sagen schien, warf mir einen Blick aus seinen großen Kulleraugen zu und lachte breit.
    »Warum Menschen in Paris ist immer so verflixt eilig?«, stieß er mit heiserer Stimme hervor und schaltete gemächlich in den zweiten Gang. »Ihr verpasst nix Termin, aber sonst verpasst alles im Leben.« Er rollte vielsagend mit den Augen. »In meiner Heimat gibt es Sprichwort: Nur wer langsam geht, sieht das Wichtige.« Zufrieden mit dem Kopf schaukelnd schlich er die Rue de Bourgogne entlang.
    Es war immer dasselbe. Wenn man in Paris in ein Taxi stieg, geriet man entweder an einen Politisch-Radikalen, der missmutige Vorträge über die Lage der Grande Nation und die Unfähigkeit aller Politiker hielt und zur Untermalung seiner Ansichten die Hand gegen das Steuerrad klatschen ließ. Oder man hatte einen Hobbyphilosophen vor sich sitzen. Unser Mann aus dem Senegal war offenbar von der zweiten Sorte. Schon möglich, dass man in seiner afrikanischen Heimat die Zeit nach Monden berechnete, aber das war mir heute zu langsam.
    »Können wir nicht trotzdem etwas schneller fahren?«, drängte ich. »Es geht nämlich um das Wichtigste.« Ich schlug mir mit der Hand vielsagend gegen die Brust.
    Der Senegalese drehte sich zu mir um und grinste.
    »Okay, Chef«, sagte er. »Du sagen, ich fahren, tack-tack.«
    Ich wusste nicht genau, ob »tack-tack« eine Art Schlachtruf war oder die senegalesische Variante von »zack-zack« – auf jeden Fall rasten wir wenige Minuten später in halsbrecherischem Tempo durch die kleinen Einbahnstraßen des Regierungsviertels zum Pont de la Concorde, um an das rechte Seine-Ufer zu gelangen.
    Ich lehnte mich zurück und sah den

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