Eines Abends in Paris
auszuhalten! Haben Sie Hummeln im Hintern, oder was?«, rief sie in ihrer unverblümten Art, als ich die Programm-Flyer, die an der Kasse auslagen, immer wieder neu ordnete und zwischendurch auf das Display meines Mobiltelefons schielte.
»Wenn Sie nur im Weg stehen wollen, dann gehen Sie doch lieber irgendwo was trinken.«
»Werden Sie nicht frech, Madame Clément«, sagte ich. »In meinem Kino kann ich stehen, wo ich will.«
»Selbstverständlich, Monsieur Bonnard.« Madame Clément nickte resolut. »Aber bitte nicht im Weg.«
Seufzend beschloss ich, ihrer Anweisung zu folgen. Und als das Kino sich für die Sechs-Uhr-Vorstellung zu füllen begann und die Zuschauer kamen, um sich Kleine wahre Lügen anzusehen, trat ich auf die Straße, zündete mir eine Zigarette an, ging mit gesenktem Kopf ein paar Schritte und stieß gegen ein engumschlungenes Paar, das dem Eingang des Cinéma Paradis zustrebte.
»Oh, pardon «, murmelte ich und blickte auf.
Eine Frau mit dunklen Locken und ein Geschäftsmann ohne Aktentasche, der inzwischen deutlich an Gewicht verloren hatte, wünschten mir einen guten Abend.
»Bonsoir «, entgegnete ich und nickte verwirrt, weil die beiden so unverschämt glücklich aussahen. Die dunkelhaarige Frau blieb stehen und zog ihren Begleiter am Ärmel. »Wollen wir es ihm nicht sagen, Jean?«, fragte sie und wandte sich zu mir, ohne seine Antwort abzuwarten.
»Sie sind doch Monsieur Bonnard, der Besitzer des Paradis, oder?«, vergewisserte sie sich.
Ich nickte.
»Wir wollten Ihnen danken.« Sie strahlte mich an.
»Aha«, sagte ich. »Wofür?«
»Für Ihr Kino. Das Cinéma Paradis ist nämlich daran schuld, dass wir uns ineinander verliebt haben.«
Jeder Blinde hätte gesehen, dass die beiden verliebt waren.
»Meine Güte!«, sagte ich. »So was! Ich meine … das ist ja ganz wunderbar!« Ich lächelte. »Das ist natürlich das Schönste, was einem in einem Kino passieren kann.«
Die beiden nickten glücklich.
»Dabei haben wir an dem Abend damals gar keine Karten mehr bekommen, weil das Kino ausverkauft war … Wir hatten uns beide so auf den Film gefreut. Und dann … keine Karten mehr.« Der Geschäftsmann zwinkerte ein paar Mal hinter seinen Brillengläsern. »Sie war enttäuscht, ich war enttäuscht, was sollten wir jetzt mit dem Abend anfangen?«
»Und dann hat er mich auf einen Kaffee eingeladen und wir haben herausgefunden, dass wir beide schon ganz lange ins Paradis kommen. Obwohl Jean mir vorher nie wirklich aufgefallen ist.«
Sie lachte und ich dachte daran, wie sie nachmittags immer allein mit ihrer kleinen Tochter in die Vorstellung gekommen war.
»Auf diese Weise haben wir uns kennengelernt. Jean war sehr unglücklich, weil seine Freundin ihn verlassen hatte. Und ich war auch in einer Krise, weil ich herausgefunden hatte, dass mein Mann mich mit einer anderen betrog. Wir saßen da und haben geredet und geredet und … tja … jetzt sind wir eben zusammen. Und das alles wegen Kinokarten, die wir nicht bekommen haben. Ist das nicht ein unglaublicher Zufall?« Sie lachte, als ob sie es immer noch nicht begreifen könnte.
Ich nickte. Das Leben war voller unglaublicher Zufälle. Wer hätte das besser gewusst als ich.
In dem Café, das in der Nähe des Kinos lag, wartete ein alter Bekannter auf mich. Das heißt, er wartete natürlich nicht auf mich. Er war wie schon so oft vor der Spätvorstellung hierhergekommen, um ein Gas Wein zu trinken, und blickte kurz von seiner Zeitung auf, als ich eintrat.
Es war der Professor, und wir nickten uns zu, bevor ich mich an einem der kleinen runden Tische niederließ. Ich wusste gar nicht so recht, was ich bestellen sollte – mein Kaffeekonsum hatte sich in den letzten Tagen, ja Wochen dramatisch erhöht. Wenn ich so weitermachte, würde ich bald ein Magengeschwür bekommen.
»Vous-voulez? « Der Kellner wischte angelegentlich über die Tischplatte und fegte ein paar Brotkrümel herunter.
Mir fiel nichts Besseres ein. In Krisensitutionen war Kaffee einfach durch nichts zu ersetzen.
»Un café au lait, s’il vous plaît« , sagte ich. Als der heiße Kaffee in einer großen weißen Tasse vor mir stand, zog ich mein Mobiltelefon aus der Tasche. Es war acht Uhr, allmählich wurde es dunkel und ich hoffte, dass Allan Wood endlich seine Picknick-Szenen im Bois de Boulogne abgedreht hatte und Solène zu erreichen war.
Sie war sofort am Telefon, aber wirkliche Neuigkeiten gab es keine. Solène hatte noch einmal in der alten Nachbarschaft
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