Eines Tages geht der Rabbi
Wohnzimmer, und er stellte wieder einmal fest, daß sie immer noch eine Figur hatte wie ein junges Mädchen. Ungeduldig strich sie sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht.
«David, wir brauchen mehr Geld», verkündete sie.
«Ja, Liebes», sagte er automatisch und verschanzte sich hinter der Zeitung.
«Ich könnte mich ja nach einem Job umsehen.»
Er legte die Zeitung aus der Hand. «Als was?»
«Vielleicht als Stenotypistin. Nein, dann müßte ich in einem Büro sitzen, und dort sieht mich niemand. Ich werde mir einen Job als Kassiererin im Supermarkt suchen. Dann merken die Leute endlich, daß ihr Rabbi unterbezahlt ist.»
Das Telefon läutete, und er griff nach dem Hörer. «Rabbi Small. Ach … ja, wie geht’s … nein, wir haben nichts Besonderes vor … aber sicher … Gegen acht? Gut, wenn Sie wollen. Das war Sam Feinberg», erläuterte er. «Er wollte wissen, ob wir heute abend da sind, er würde gern vorbeikommen.»
«Schön, dann kannst du ihn ja um mehr Geld bitten.»
«Einfach so? Na, hör mal … Und wie stellst du dir das weiter vor? Glaubst du, er zückt die Brieftasche oder bittet mich um einen Kugelschreiber, damit er einen Scheck ausstellen kann?»
«Du weißt ganz genau, wie ich es meine. Ich weiß, daß der Finanzausschuß es genehmigen muß, vermutlich auf Empfehlung der Ritualkommission, und dann muß der ganze Vorstand darüber abstimmen. Aber zunächst muß ein Vorschlag da sein, jemand muß den Stein ins Rollen bringen. Warum willst du nicht Mr. Feinberg darum bitten? Er mag dich, ihr kommt gut miteinander aus. In den zwei Jahren, seit er Präsident ist, hast du nie Ärger mit ihm gehabt. Jedenfalls kann ich mich nicht erinnern, daß du dich über ihn beklagt hättest.»
«Ja, wir beide kommen ganz gut zurecht, das stimmt.»
«Warum –»
«Ich kann ihn nicht darum bitten, Miriam.»
«Aber warum nicht? Die Inflation hat dein Gehalt verringert …»
«Ich bekomme einen Teuerungszuschlag.»
«Aber der reicht nie, und du bekommst ihn erst bei deinem nächsten Vertrag. Wenn du wenigstens nicht deine Honorare abgeben würdest …»
«Damit habe ich mich einverstanden erklärt, als ich herkam.»
«Aber wir könnten das Geld gut gebrauchen», jammerte sie.
«Für die Berenson-Hochzeit hast du 200 Dollar erhalten.»
Er lächelte. «Es wäre bestimmt nicht einmal ein Viertel davon gewesen, wenn es in meine Tasche ginge. Sie wissen, daß ich das Geld an die Synagogenkasse abliefere, und zahlen großzügig, weil es sich früher oder später doch herumspricht, wieviel sie gegeben haben.»
«Du könntest eine Aufstellung der Honorare machen, die du abgegeben hast, und darum bitten, daß dein Gehalt zumindest um diese Summe aufgestockt wird. Das wäre nur fair. Die meisten Rabbis behalten ihre Honorare für sich.»
Er schwieg – ein deutlicher Hinweis, daß er die Diskussion nicht fortzusetzen wünschte. Trotz seiner vierzig Jahre wirkte er mit dem blassen Gesicht, dem runden Gelehrtenrücken und dem zuweilen zerstreuten Blick hinter den dicken Brillengläsern wie ein alter Mann. Doch manchmal, wie jetzt, sah er aus wie ein dickköpfiger kleiner Junge, der ungezogen war und nicht sagen mag, daß es ihm leid tut.
Sie ließ nicht locker. «Wirst du nie eine Gehaltserhöhung verlangen, David?»
Er lächelte und sagte freundlich: «Schau, Miriam, für mich ist es – erniedrigend, um eine Gehaltserhöhung zu bitten.»
«Aber es ist eine rein geschäftliche Regelung. Du hast einen Vertrag.»
«Gewiß, und deshalb werde ich die Sache auch streng geschäftlich angehen. Zu gegebener Zeit.»
«Und was nennst du streng geschäftlich?»
«Wenn ich sagen kann, daß ich entweder mehr Geld bekomme oder gehe. Begreif das doch: Wenn ich eine Gehaltserhöhung verlange, aber ganz offensichtlich die Absicht habe hierzubleiben, auch wenn sie mir nicht bewilligt wird, ist das wie – wie Bettelei. Ein Appell an ihre Mildtätigkeit. Und wenn sie nein sagen? Soll ich mich dann in die Schmollecke zurückziehen? Ich kann das nicht. Wenn ich mich einmal auf so eine Abhängigkeit einlasse, verliere ich all meine Autorität.»
«Bei der Rabbinerkonferenz in Providence hat Sarah Metzenbaum erzählt, wie Jack es macht, wenn er etwas will. Dann gibt er seinen guten Freunden im Vorstand einen Tip, und die bringen es dann auf der Sitzung zur Sprache.»
Rabbinerkonferenzen, fand der Rabbi, hatten unter anderem den Nachteil, daß sich, während die Rabbis in ihren Vortragsveranstaltungen saßen, die
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