Eines Tages geht der Rabbi
Frauen zusammenfanden und Erfahrungen austauschten. «Jack Metzenbaum ist ein umgänglicher, geselliger Mensch, der leicht, fast automatisch Freundschaften schließt. Bei mir ist das anders. So etwas kostet Zeit und Mühe, man muß mit den Leuten gesellschaftlich verkehren, mit ihnen essen …»
«Und was hast du dagegen?»
«Welche Vorstandsmitglieder haben koschere Häuser, in denen wir essen könnten? Und Golf spiele ich nicht.»
«Chester Kaplan und seine Gruppe führen alle eine koschere Küche.»
«Das fehlt mir noch, mir nachsagen zu lassen, daß ich zu Chester Kaplans Clique gehöre», spottete er. «Die meisten Vorstandsmitglieder sind sowieso der Meinung, daß ich mich immer auf die Seite der Orthodoxen schlage.»
«Aber wie kommen wir dann weiter? Du selbst kannst nicht um Gehaltserhöhung bitten, und du hast niemanden, der die Sache für dich durchfechten könnte. Wenn sie bis jetzt nicht von selbst darauf gekommen sind, dir mehr Geld zu geben, kannst du darauf lange warten.»
Er merkte, daß sie ernsthaft besorgt war, und versuchte, sie zu besänftigen. «Keine Angst, ich werde mir etwas einfallen lassen.»
Aber damit ließ sie sich nicht abspeisen. «Wenn ich so höre, wie genau du es mit deinen Grundsätzen nimmst, weiß ich nicht recht, wie du das anstellen wirst.» Sie war klein und mädchenhaft, es schien kaum glaublich, daß sie zwei halbwüchsige Kinder hatte. Die großen blauen, sonst so fröhlichen Augen waren streng, ja, vorwurfsvoll auf ihn gerichtet, das Kinn war entschlossen vorgereckt. Das üppige, nachlässig hochgesteckte blonde Haar kam ins Rutschen, als sie gebieterisch den Kopf zurückwarf, eine Bewegung, die ihn immer in die Defensive trieb.
Er versuchte Zeit zu gewinnen. «Ja, also, wenn mein Vertrag ausläuft, werden sie mir wohl einen neuen schicken. Und – den unterschreibe ich dann einfach nicht. Und wenn sie mich nach dem Grund fragen, werde ich sagen, daß mir mit meinem derzeitigen Gehalt die Fortsetzung meiner Arbeit nicht möglich ist.»
«Wieviel würdest du fordern?»
«Ich weiß nicht», sagte er leicht gereizt. «Es kommt darauf an …»
«Wir brauchen mindestens 2000 mehr.»
«Gut, dann fordere ich eben 2000.»
«2500.»
«Schön, 2500.»
«Und wenn sie dir die nicht bewilligen?»
«Dann unterschreibe ich den Vertrag nicht und sehe mich nach einer anderen Stelle um. Zufrieden?»
Sie nickte nachdenklich. «Na gut, aber wie wäre es, wenn du Feinberg schon eine Andeutung über deine Pläne machst, wenn er heute abend kommt? Dann könnte er beim Vorstand Alarm schlagen, und sie können sich schon Gedanken darüber machen.»
Er schüttelte den Kopf. «Vielleicht sehen sie sich statt dessen nach einem Ersatz um.»
«Dann wüßtest du wenigstens, woran du bist, und könntest dir eine neue Stellung suchen, ehe der alte Vertrag abläuft.»
«Schau, Miriam», sagte er geduldig, «ich weiß nicht, weshalb er mich sprechen will –»
«Aber wenn sich die Gelegenheit ergibt …»
«Also schön. Wenn er sagt, daß sie einen großen Überschuß in der Kasse haben, und mich um Rat bittet, wie sie ihn anlegen sollen, werde ich so ganz nebenbei fallenlassen, der Vorstand könnte sich ja überlegen, ob er nicht dem Rabbi eine Gehaltserhöhung geben will. Zufrieden?»
Die Haustür öffnete und schloß sich geräuschvoll. Aus der Küche kam die schrille Stimme der dreizehnjährigen Tochter Hepsibah. Sie war blond und rosig, aber entgegen dem herrschenden Schönheitsideal klein und pummelig. «Jonathan ist gemein», verkündete sie. «Al Steiner hat ihn mitgenommen, aber denkt ihr, die haben angehalten, als sie mich gesehen haben? Glatt vorbeigefahren sind sie an mir. Jonathan hat sogar gewinkt. Tag, Dad, Tag, Mommy. Ist er oben?»
«Er ist noch nicht zu Hause», gab Miriam Bescheid. «Du bist spät dran. Wenn du dich nicht beeilst, kommst du zu spät zum Hebräisch.»
«Kannst du mich hinfahren, Dad?»
«Das Laufen tut dir mal ganz gut.»
«Vater hat zu tun, Sibah. Trink ein Glas Milch. Du kommst noch gut hin, wenn du nicht trödelst.»
«Warum muß ich überhaupt zu diesem blöden Hebräisch?»
«Weil Mittwoch ist und du jeden Mittwoch Hebräisch hast», fertigte Miriam sie ziemlich kurz ab.
Schritte polterten die Treppe hinauf, Bücher fielen zu Boden, Schritte polterten die Treppe wieder herunter, dann knallte die Hintertür zu. Miriam seufzte.
Etwa eine Viertelstunde herrschte Ruhe, dann schlug wieder die Hintertür.
«Jonathan?» rief Miriam.
Ihr
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