Einfach Abschalten
Freeman: The Tyranny of E-mail, New York 2009.
202 Monke, Lowell: »Unplugged Schools«, in: Orion, September/Oktober 2007, www.orionmagazine.org.
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Auszeit vom Internet
Das häusliche Leben meiner Familie unterscheidet sich nicht sehr vom dem unserer Freunde in den großen Städten. Wir wohnen zwar zurückgezogen in einer ruhigen Straße in einer kleinen, abgelegenen Stadt, aber es ist nicht die Studie in beschaulicher Unvernetztheit, nach der es aussieht. Die Welt hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten dramatisch verändert.
Erinnern Sie sich noch an den Geschäftsmann aus der Telegrafen-Ära, dessen Geist »ständig auf dem Sprung« war, der vom Essen mit seiner Familie durch plötzliche Unterbrechungen von weit her fortgerissen wurde? So sieht das Leben heute für jeden aus, für Eltern wie Kinder gleichermaßen. In unserem Fall schien es, als unser Sohn William älter wurde und seine eigenen Bildschirminteressen entwickelte, so zu sein, dass das, was wir noch »gemeinsam« hatten, das Phänomen der verschwundenen Familie war – wir verschwanden alle an unsere jeweiligen Bildschirme.
Es gibt eine Denkschule, die sagt, das sei völlig in Ordnung, weil elektronische Bildschirme die Familien praktisch zusammenbringen. »Die Technik ermöglicht neue Formen familiären Zusammenhalts, die sich über Telefonkontakte und gemeinschaftliche Interneterfahrungen über die Distanz abspielen«, war die Schlussfolgerung einer Studie des Pew Internet & American Life Project, das zum gemeinnützigen Pew Research Center gehört. 203 Mehrere Computer in einem Haus, stellte die Studie fest, führten nicht notwendig dazu, dass die Familienmitglieder sich voneinander isoliert in ihre jeweils eigene Technikecke zurückziehen. Stattdessen fand man viele Beispiele von zwei oder mehr Familienmitgliedern, die gemeinsam online gehen oder von denen einer den anderen ruft, um sich etwas anzusehen.
Mit anderen Worten: Das Phänomen der verschwunden Familie ist sogar noch merkwürdiger, als es aussieht. Wie die Dame, die der Illusionist aus einer schwarzen Kiste verschwinden lässt und die dann an einem von oben herabgelassenen seidenen Seil wieder in Erscheinung tritt, findet die Familie, die sich auf den Ruf des Bildschirms hin zerstreut hatte, an einem völlig anderen Ort wieder zusammen – vor dem Bildschirm selbst! Je mehr wir aus unserem Wohnzimmer verschwinden, desto mehr rücken wir zusammen.
Aber das stimmt nicht. Meine Familie hatte jahrelang Spaß an gemeinsamen digitalen Erlebnissen, und sie waren meist lustig und oft bemerkenswert. Zweifellos werde ich mich noch in Jahren lebhaft daran erinnern, wie wir, als William noch klein war, alle drei vor dem Bildschirm saßen und gemeinsam mit dem Numa-Numa-Typen »Numa Numa, hey! Numa Numa, hey!« sangen. Wir sitzen dauernd beieinander und sehen uns Musik-Videos an, Comedy-Sketche, Naturfilme, Präsidentenreden, was immer Sie wollen!
Es geht nicht darum, dass Bildschirme schlecht wären. Der Bildschirm ist sogar etwas sehr Gutes. Der springende Punkt ist das Fehlen der Verhältnismäßigkeit, die Vernachlässigung von allem anderen und dieser merkwürdige abwesend-anwesende Geisteszustand, den dieser Drang zum Schirm hervorruft. »Erde an Liebling Nummer eins, bist du da? Nein? Ich auch nicht.« Wir haben für den Schirm und durch den Schirm gelebt, statt für und durch einander.
Wie das Selbst ist die Familie eine kleine Einheit innerhalb einer viel größeren Masse, eine Einheit mit eigenem Innenleben. Um zu wachsen und zu gedeihen, braucht dieses Leben im Inneren Zeit für sich. Sonst werden sowohl das Selbst wie die Familie von der Masse abhängig und definieren sich in Beziehung zu dem, was da draußen ist, statt über das, was gleich hier ist. Thoreau schrieb, dass der Mann, der verzweifelt immer wieder zum Postamt läuft, von sich selbst schon lange nichts mehr gehört hat. Je mehr Mitglieder einer Familie sich immer wieder vor den Bildschirm setzen, aus welchem Grund auch immer, desto weniger erfahren sie wirklich voneinander und desto geschwächter wird ihr gemeinsames Leben.
Wir standen vor der Frage, wie wir unserem Leben eine andere Richtung geben konnten. Eine Option war, die Zimmer unseres Hauses neu einzuteilen, um reale Walden-Zonen zu schaffen, die der Unvernetztheit vorbehalten wären. In unserem Fall gab es solch einen Bereich sogar schon – es kam selten vor, dass jemand im Wohnzimmer ein elektronisches Gerät benutzte –, aber aus dem
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