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Einfach Freunde

Einfach Freunde

Titel: Einfach Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdel Sellou
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vom Geruch noch von der Farbe her. Das stört sie offenbar nicht, sie blättern anstandslos die Kohle hin. Aus einem Stück Ahornrinde schnitze ich ein formvollendetes Täfelchen, reibe es mit ein wenig echtem Hasch ein, von wegen Geruch und Farbe, und wickle es in Zeitungspapier. An der Fontaine des Innocents, dem Unschuldsbrunnen, taucht ein Milchbubi im Blazer auf.
    Â»Hast du was dabei?«
    Â»Und du, hast du die Knete dabei?«
    Wir werden uns sofort einig, der Blazerträger verschwindet so schnell, wie er gekommen ist. Ich stelle mir vor, was er beim Jointbauen für eine Fresse ziehen wird. Erst wird er die Blättchen und den Tabak unter der Matratze hervorziehen, dann wird er versuchen, das Zeug zu zerbröseln, bis ihm die Finger bluten. Na, Jean-Bernard, wie gefällt dir mein Stoff? Kein Wunder, ist reiner Ahorn!
    Abends finden die Kellerfeten statt, »Zulu-Partys« genannt. Wir verstehen uns alle prächtig, die ethnische Herkunft spielt keine Rolle. Und weil wir uns so prächtig verstehen, wissen wir nichts voneinander. Ich kenne den Vor- oder Spitznamen von jedem Typen, sie kennen meinen: der kleine Abdel. Mehr nicht. Ihre Nachnamen sind mir unbekannt, und »Sellou« haben die noch nie gehört. Sie nennen mich den Kleinen wegen meiner Größe, nicht wegen meines Alters, fünfzehn Jahre. Hier sieht man noch viel Jüngere als mich und sogar ein paar arg naive Mädchen. Sie spielen mit dem Feuer, genießen die Blicke dieser Jungs, die stark wie Männer sind. Sie werden es noch bitter bereuen. Ich beobachte das Ganze von der Seite, ohne wirklich teilzunehmen. An einem Abend bin ich draußen bei den Punks, an anderen ziehe ich mich vor dem Regen in den Keller zurück, um meine Ware zu verticken.
    Â»He! Kleiner Abdel! Hab’n Tipp für dich. Ein Mädchen vom Henri- IV -Gymnasium gibt heute Abend eine Party, schicke Wohnung, Nähe Ranelagh. Ihre Alten sind verreist, bist du dabei?«
    Â»Klar!«
    In solchen Fällen nistet man sich bei der Gastgeberin ein und feiert brav mit, bis einer zum Aufbruch bläst. Dann lässt man alles mitgehen, was sich lohnt. Mindestens ein aktueller Videorekorder ist immer dabei. Ich stöpsle vorsichtig die Kabel aus und rolle sie sorgfältig auf. Die junge Dame des Hauses sieht es mit Entsetzen. Was treiben ihre neuen Freunde da? Eben waren die noch so nett! Wie hätte sie das ahnen können? Ach, die bösen Jungs! Sie schließt sich in ihrem Zimmer ein. Auf der Straße lachen sich die Kumpels bei meinem Anblick halbtot, während ich ganz lässig ein Gerät davontrage, das so viel wiegt wie ich.
    Â»Du bist der Beste, kleiner Abdel!«
    Kann man wohl sagen … An diesem Abend hängen wir an der Place Carrée ab, die ihren Namen gar nicht verdient, weil sie eher rund als eckig ist. Ganz hinten, an der Mauer, geraten plötzlich zwei Typen in Streit. Wir sehen aus sicherer Entfernung zu, halten uns im Hintergrund. Man mischt sich nicht in fremde Angelegenheiten ein. Niemals. Die Typen gehen aufeinander los, so was sieht man jeden Tag.
    Weniger alltäglich ist das Blut, das einem der beiden plötzlich aus der Kehle schießt. Ganz und gar nicht alltäglich ist der Reis, der weiß aus dem Schlund des Schwarzen quillt. Er ist tot, eindeutig.
    Innerhalb von Sekunden machen wir uns wie eine Schar Tauben vom Acker. Ich habe die Klinge nicht gesehen, die das Fleisch durchtrennt hat, sie muss groß und stark gewesen sein, genau wie die Hand, die sie führte. Entschieden. Darum rühre ich keine harten Drogen an, ich konsumiere sie nicht, und ich verkaufe sie nicht. Dieses Geschäft geht zu weit. Komisch: Obwohl ich mein Tun noch nie hinterfragt, obwohl ich beim Stehlen nicht die geringsten Skrupel habe, weiß ich jetzt schon, dass ich niemals für Geld morden könnte. Die Bullen werden gleich hier sein, ich laufe möglichst weit weg, alle Zeugen haben sich längst über die Stadt und in ihre Katakomben verteilt. Ich habe gesehen, wie der Kopf des Toten auf die Schulter fiel, fast komplett vom Rumpf abgeschnitten. Ich habe gar nichts gesehen.

8
    In meinem Viertel wurde auch gestorben, aus Einsamkeit und Verzweiflung – wie man in Städten eben stirbt. Man beging Selbstmord, meistens durch einen Fenstersturz. Das sorgte jedes Mal für Aufsehen. Wir waren Hunderte, insgesamt wohl knapp tausend, in der kleinen Cité, jeder kannte jeden. Wenn einer von uns

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