Einfach Freunde
den anderen zwangsläufig ähnlich ergehen, erst recht diesen Muttersöhnchen, die mit einem Silberlöffel im Mund auf die Welt gekommen waren.
Nach Abschluss der Grundschule begleiteten die Eltern ihren Nachwuchs nicht mehr bis zum Schultor. Kaum traten die Kinder auf die StraÃe, konnte man sie leicht schnappen. Wir spähten ein Opfer aus, einen Typen, der mit den richtigen Klamotten ausgestattet war. Dann stürzten wir uns zu zweit oder zu dritt auf ihn, kreisten ihn auf dem Bürgersteig ein und begleiteten ihn ein Stück, wie Kumpels, die den gleichen Schulweg haben. Den anderen Passanten fiel nichts Verdächtiges auf. Höchstens, dass unser Anblick sie zu Tränen rührte: Dieser nette Sohn aus gutem Hause ist also mit zwei Arabern befreundet! Dieser aufrechte kleine Katholik hat ein so groÃes Herz, dass er diese fragwürdigen, abgerissenen Gestalten nicht abblitzen lässt ⦠Sie hörten ja nicht, was wir von uns gaben.
»Was haste für Turnschuhe? Wie gro�«
»Die SchuhgröÃe? Warum?«
»Sag schon!«
»Vierzig.«
»Super, das passt! Gib sie her.«
»Aber ich kann schlecht in Socken zur Schule gehen, oder?«
»Ich hab ein Teppichmesser dabei. Du möchtest doch keine hässlichen roten Flecken auf deinem hübschen blauen Pulli? Setz dich hier hin!«
Ich zeigte auf eine Bank, eine Treppenstufe, die Schwelle einer noch geschlossenen Boutique.
»Los, mach die Schnürsenkel auf, aber dalli!«
Ich verstaute die Nikes in meinem Rucksack und haute mit Yacine ab, der bereits SchuhgröÃe 42 brauchte und sich nicht so einfach bei kleinen Gymnasiasten bedienen konnte.
Manchmal benutzten wir das Messer doch. Aber nur, um die Jacke zu zerschneiden, die Hülle, niemals die Haut. Ab und zu setzte es auch Faustschläge und FuÃtritte. Und zwar immer, wenn unser Opfer sich wehrte, was wir völlig hirnrissig fanden. Für ein Paar Schuhe, also echt ⦠Ich wurde mehrmals erwischt. Dann verbrachte ich ein bis zwei Stunden auf der Wache, bevor ich wieder heimÂdurfte. Die französische Polizei ist bei weitem nicht so schlimm wie in den Filmen. Nie hat man mir ein Telefonbuch an den Kopf geworfen oder auch nur die kleinste Ohrfeige verpasst. In Frankreich werden Kinder nicht geschlagen, das gehört sich nicht. Auch bei Belkacem und Amina wurde nicht geschlagen. Ich weià noch, wie manche Nachbarn schrien: der Vater, der seinen Sohn auspeitschte, der Sohn, der vor Schmerz aufheulte, die Mutter, die um das Ende der Folter bettelte. Ich erinnere mich an Mouloud, Kofi, Sékou, die regelmäÃig eine ordentliche Tracht Prügel bezogen. Danach durfte man ihnen ein paar Tage lang nicht allzu fest auf die Schulter klopfen, und vor allem durfte man sich auf keinen Fall anmerken lassen, dass man Bescheid wusste. Immer so tun, als wäre nichts passiert. Es war auch nichts passiert, das Leben nach der Peitsche glich haargenau dem Leben vor der Peitsche. Mouloud, Kofi und Sékou bezogen weiterhin unten am Eingang oder auf dem Betonplatz Stellung, sie rannten weiterhin wie der Blitz.
Ich werde mutiger, wage mich über die Grenzen meines Viertels hinaus. Nehme an der Metrostation Charles-Michel die Linie 10 , steige am Odéon um und Châtelet-Les Halles wieder aus. Dort tummelt sich ein buntes Völkchen. Vor allem Schwarze und Araber. Manche halten sich für Amis. Stopfen sich mit Hamburgern voll, um das gleiche Kampfgewicht zu erreichen wie die Breakdancer. Man hört sie schon von weitem kommen, mit dem dröhnenden Ghettoblaster auf der Schulter. Die unvermeidliche Baseballkappe tragen sie verkehrt herum, dazu Hosen, die ihnen fast über den Hintern rutschen. Sie stellen die Anlage ab, drehen die Lautstärke noch weiter auf und legen los. Damit sorgen sie nicht nur für Show und Klangkulisse, sondern verdecken auch, was nebenher läuft.
So geht jeder seinen kleinen Geschäften nach, ohne sich um die anderen zu kümmern. Ich stürze mich ins Gewühl, verschlinge ein Sandwich, verkloppe hier einen Blouson von Lacoste, dort ein Paar Westons, alles ganz harmlos â die Drogen kursieren woanders, auÃerhalb von meinem Revier. An dieser Art Handel bin ich nicht interessiert, höchstens, um die reichen Popper aus den Nobelkiezen zu ärgern, die sich den Abend ein bisschen versüÃen wollen. Ich verticke ihnen getrocknete Paprika. Ãhnelt Cannabis kein bisschen, weder
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