Einfach Freunde
hatte. Hey, Sie da! Wie wärâs mit âner Portion Pommes? Ich stelle mir den Mann als Zeichentrickfigur vor, er wird zum dicken Wolf, seine Zunge hängt bis zum Boden, Speichel trieft auf seinen dicken haarigen Bauch, er schafft es nicht, sich die Tüte mit den knusprigen Pommes zu schnappen, die Rotkäppchen Abdel in den Händen hält.
Der Direktor unterbricht meinen kleinen Tagtraum.
»Ihr kulinarisches Argument dürfte leider nicht ausreichen ⦠Wir werden uns jetzt beraten, aber der Ausgang steht wohl schon fest. In ein paar Tagen erhalten Sie Bescheid, wir schicken den Brief an die Adresse Ihrer Eltern. Sie können jetzt gehen.«
»Na gut ⦠Dann bis bald!«
»Wohl kaum ⦠Viel Glück, Abdel Yamine.«
Der Brief ist noch nicht bei meinen Eltern eingetroffen, und ich habe sie nicht vorgewarnt, ich rede überhaupt nicht mehr mit ihnen. Ich habe mich schon längst von Schule und Familie entfernt. Laut Gesetz kann ich jedoch nur gemeinsam mit einem Erziehungsberechtigten befragt werden. Ein Polizeiwagen holt Belkacem und Amina ab, sie werden zum Quai des Orfèvres Nr. 36 chauffiert, dem Hauptsitz der Kriminalpolizei. Als sie den Flur betreten, döse ich auf einem Stuhl vor mich hin. Sie wirken gleichzeitig eingeschüchtert und traurig. Meine Mutter stürzt sich auf mich.
»Abdel, was hast du getan?«
»Mach dir keine Sorgen. Alles wird gut.«
Meine Verweisung vom Gymnasium ist ihnen nicht so wichtig. Sie wissen sowieso, dass ich mich dort nur alle Jubeljahre blicken lasse (und zwar ausschlieÃlich wegen der Mensa), und haben seit langem jede Kontrolle über mich verloren. Aber sie fürchten sich vor der Befragung, an der sie gleich teilnehmen sollen. Als sie mich das erste Mal beim Kommissariat um die Ecke abgeholt hatten, war es für erzieherische MaÃnahmen bereits zu spät gewesen. Und das Ende vom Lied: Wir sind bei den Bullen gelandet, die für die Schwerverbrecher zuständig sind. Was meine Eltern seit Jahren im Stillen befürchtet haben, scheu und hilflos, ist womöglich eingetroffen.
»Abdel Yamine Sellou, du wurdest mit Hilfe der Ãberwachungskameras an der Place Carrée wiedererkannt, du warst im dritten Untergeschoss des Forum des Halles, als dort ein Mord begangen wurde, in der Nacht vom Blabla, blablabla â¦Â«
Es ist zum Schnarchen. Meine Eltern starren dem Inspektor auf die Lippen, um ihn besser zu verstehen. Beim Wort »Mord« springt meine Mutter auf.
»Keine Angst, Mama, ich warâs nicht, ich habe nichts getan! Ich war bloà zur falschen Zeit am falschen Ort.«
Der Polizist ist auf meiner Seite.
»Madame Sellou, ich befrage Ihren Sohn als Zeugen, er steht nicht unter Mordverdacht, hören Sie?«
Sie nickt und nimmt beruhigt wieder Platz. Was ihr und meinem Vater in diesem Moment durch den Kopf geht, weià ich nicht und werde es nie erfahren. Sie schweigen. Auch später, als wir zu dritt den berüchtigten Quai des Orfèvres verlassen, bleiben sie still. Erst kurz vor Beaugrenelle versucht mein Vater es kurz mit einer Gardinenpredigt, aber meine Mutter wird ihm den Mund verbieten, damit ich nicht gleich wieder verschwinde.
Doch zuerst liefere ich dem Inspektor meine Version: Die Typen von Les Halles hatte ich nie zuvor gesehen, kannte deren Namen nicht, würde sie nie im Leben wiedererkennen. Damit ist das Gespräch aber noch nicht beendet. Der Polizist stellt mir persönliche Fragen, über meinen Alltag, meine Kumpels vom Châtelet, die eigentlich keine sind. Pro forma hält er mir einen kleinen Vortrag. Entweder gehört das zu den Pflichten, für die er bezahlt wird, oder er will sein Gewissen beruhigen. Muss echt frustrierend sein, wenn man mit seiner Arbeit so wenig bewirkt â¦
»Abdel Yamine, deine Eltern haben ein geringes Einkommen, also bekommst du staatliche Ausbildungsförderung, bleibst dem Unterricht aber fern. Findest du das richtig?«
»Pfft â¦Â«
»Das Geld wird dir auch noch direkt überwiesen, auf dein eigenes Konto. Damit könnten deine Eltern wenigstens für deine Kleidung und Ernährung aufkommen.«
»Pfft â¦Â«
»Natürlich kommst du prima alleine klar, nicht wahr? Du führst dich auf wie ein kleiner Gockel ⦠Pass auf, ich stelle dich gleich einer Dame vor, sie ist Jugendrichterin und wird sich um dich kümmern, bis du volljährig bist.«
Meine
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