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Einfach hin und weg

Einfach hin und weg

Titel: Einfach hin und weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Jansen
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morgen geht es besser.
     

04.06.2007 Frómista – Carrión de los Condes
     
    Es wird immer turbulenter, die Karawane wird immer größer.
    Bis jetzt habe ich noch immer Quartier in den Herbergen gefunden. Nun wird es schwierig, wenn man erst am späteren Nachmittag ankommt. Die Anzahl der Pilger wächst und wächst. In den Unterkünften werden längst Küchen, Aufenthaltsräume und Keller mit oder auch ohne Matratzen als Nachtlager vergeben. Während einer Nacht auf dem Boden unter 2 Esstischen ohne Matratze und mit dem Brotbeutel als Kopfkissen hau ich mir den Kopf beim Aufstehen an. Ein wenig Blut fließt, ein Hörnchen wächst. Meine erste Camino Verletzung.....
    Mit der Anzahl der Pilger wächst auch die Anzahl derjenigen, die eigentlich nicht hierher passen. Mit dem Alkoholpegel steigt bei manchen die Lust, sich laut und vernehmlich in Szene zu setzen, zu lästern und über alles zu keifen und zu kläffen. Lieder werden gegrölt und in der Gemeinschaft ist man ungemein stark. Ein gestandenes Kegelclub-Hotel wäre in diesem Fall angebrachter.
    Die ehrenamtlichen Helfer der Herbergen stellen bei ihrem jährlichen Treffen eine Hitliste der größten Stänkerer auf. Erstaunlicherweise sind es nicht die Deutschen, die oben rangieren, aber sie sind unter den ersten vier!
    Und dann gibt es eine Volksgruppe, die man schon aus mehreren 100 m Entfernung hört. Laut diskutierend kommen sie in Grüppchen, überholen und ziehen vorbei, weiter diskutierend. Wahrscheinlich diskutieren sie bis Santiago. Auch ein Weg!
    Die Fußpilger verfluchen die Fahrradpilger. Auf die Straße mit ihnen, aber nicht auf die Fußwege! Hightech-Mountain-Bikes haben keine Klingel und wenn ein Fahrradfahrer plötzlich pipp-pipp hinter Dir brüllt, fast auf 10 m ran ist, rettet oft nur ein Hechtsprung zur Seite. Sie kommen immer im Pulk, veranstalten Radrennen und spüren nichts vom Geist des Camino.
    Morgens ziehen die ersten Reisegenossen um 5 Uhr los, um nur ja sicher zu sein, Quartier zu bekommen. „Sie ziehn dahin, daher zerstreut wie Lämmer auf der Flur, in Rudeln auch und aufgereiht wie Perlen an der Schnur“, um Eduard Mörike zu zitieren. Irgendwann entflechtet sich alles, aber es sind und bleiben Massen.
    Heute nur eine Kurzetappe von etwas mehr als 20 km bis Carrión de los Condes. Immer einen geteerten Weg entlang neben einer Straße. Etwas eintönig und flach, aber gut zu laufen.
    Mein rechter Fuß schmerzt wieder und ich bin froh, als ich gegen 12 Uhr ankomme.
    Vor dem Tor der Herberge treffe ich Bernard, Paul und Marie-France. Wir bekommen ein Zimmer für uns vier im Kloster Santa Clara, von Nonnen betrieben, die aber einen Verwalter für die Herberge eingesetzt haben. Wie ein Feldwebel erklärt er die Hausordnung, zackig zeigt er uns Küche, Aufenthalts, Sanitär- und Waschräume. Am liebsten hätte ich nach seiner Präsentation ebenfalls ein zackiges „Jawoll!“ gerufen. Ich verkneife es mir. Das Kloster ist im 13. Jahrhundert gebaut, hat einen wunderschönen Innenhof und ist sehr gut erhalten, die Atmosphäre unbeschreiblich. Wie viele hier wohl in all den Jahrhunderten schon übernachtet haben, in diesen heiligen Mauern und Hallen?
    Marie-France sieht das alle sehr nüchtern und meint: „Ich hab noch nie mit drei Kerlen auf einmal geschlafen, und das auch noch in einem Kloster. Wenn ich das meinen Freundinnen erzähle, glaubt mir das keine!“
     

05.06.2007 Carrión de los Condes - Terradillos - San Nicolas
     
    Gestern Abend bin ich total verzweifelt. Ich lasse alles, was nicht niet- und nagelfest ist, hinter oder verliere es. Meine Badeshorts und mein langärmeliges T-Shirt bleiben schon in den ersten Tagen irgendwo auf der Wäscheleine hängen. Vergessen. Dann Waschmittel, dann das Aufladegerät vom Mobiltelefon, dann die Lesebrille. Gestern bemerke ich, dass mein Schweizer Taschenmesser fehlt. Wahrscheinlich liegt es im Speiseraum, wo ich es zuletzt zum Brotschneiden gebraucht hatte. Eifriges Suchen hilft nichts, es ist nicht aufzufinden und ich schimpfe mit mir selbst ob meiner Vergesslichkeit. Gott sei Dank sind Hintern und Kopf fest angeschraubt, sonst würde ich die auch noch verlieren. Natürlich kann man alles neu kaufen, aber es ist eben ärgerlich.
    In der Nacht träume ich, ich müsste für Angela Merkel ein Abendessen ausrichten für eine große Personenanzahl. Ich fahre mit dem Auto in Bonn bei ihr vor und merke beim Aussteigen, dass ich meinen Anzug und meine Krawatte zu Hause vergessen habe, stehe in

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