Einfach hin und weg
Unterwäsche vor ihrer Türe. Schweißgebadet wache ich auf. Es ist schon verrückt!
Dann werde ich richtig wach und verspreche mir hoch und heilig, mich zu bessern und auf meine Sachen zu achten. Mal sehen, wie lange es dauert, denn viel habe ich nicht mehr zu verlieren.
Was habe ich denn noch im Rucksack und am Leib? 2 Paar Hosen, 4 T-Shirts, davon eines zum Schlafen, 1 Pullover (den sollte ich auch noch hinterlassen), 3 Paar Socken, 1 Hemd, Anorak, ein Paar Sandalen, Waschbeutel, Medikamente und Verbandszeug, Aufladegeräte für Mobiltelefon, Kamera und MP3 Player und einen Schlafsack. Dazu den Brotbeutel mit Kleinigkeiten. Man glaubt es kaum, aber das reicht, um auf dem Camino 5 Wochen lang unterwegs zu sein. Es ist mehr als genug zum Überleben und jedes Gramm oder jedes Teil, das geschleppt wird, drückt auf die Knochen. Alles, was entbehrlich und überflüssig ist, sollte zu Hause bleiben.
In Anbetracht meiner schmerzenden Schultern habe ich sogar drei Lieblingsbücher, die ich unterwegs unbedingt lesen wollte, nach wenigen Etappen der Bibliothek einer Herberge zur Verfügung gestellt. Literatur kann so schwer sein.....
Ich packe meine inzwischen nur noch 10 kg im Rucksack und ziehe in Richtung Terradillos de los Templarios. Wieder geht es größtenteils durch Flachland, meist auf einem Feldweg an einer breiten Straße entlang. Es sind holprige Wege mit vielen spitzen Steinen. Nach etwa 10 km fühle ich mich wie ein Fakir nach einem mehrstündigen Lauf über glühende Kohlen. Ich spüre trotz dicker Sohlen jeden einzelnen Brocken unter den Füßen. Manche Leute laufen auf dünnen Turnschuhen. Das muss richtig weh tun.
Unterwegs große Überraschung: nette Menschen haben mitten in der Landschaft ein Tischlein-Deck-Dich aufgebaut mit Obst, Säften, Keksen, Kaffe und Tee. Jeder darf sich bedienen, eine kleine Spende ist erwünscht. Weit und breit ist niemand zu sehen. Da lacht das Pilgerherz!
Bis Terradillos sind es 26 km. Bei Ankunft ist es 1 Uhr. Zu früh, um schon zu stoppen. Ich fühle mich frisch und gehe bis San Nicolas, wo ich eine wunderschöne Herberge vorfinde, privat geführt, mit kurz geschnittenem Rasen im Innenhof: für die Füße beim Barfußlatschen ein himmlisches Vergnügen! Ein Restaurant und eine Bar sind angeschlossen und die Übernachtung kostet nur € 7. Ich miete mich sofort ein. Ein paar Einheimische stehen an der Theke. Wir kommen ins Gespräch und sie laden mich zu einem kühlen Cerveza ein. Das zischt. Und dann werde ich nach 32 km hundemüde. Schnell ab unter die heiße Dusche und die Wäsche muss auch noch gewaschen werden. Aus dem einen Bier werden dank des Zuspruchs von Doreen und Thadeus ein paar mehr. Nach dem Essen ein nettes Gespräch mit mehreren Leuten. Vor allem mit Doreen kann man über Gott und die Welt reden, am besten über ersteren. Sie ist überzeugte Katholikin und steht auch dafür ein. Betont, dass sie nach christlichen Prinzipien lebt, dass sie auf dem Weg manches Vaterunser für ein gutes Ankommen betet. Ich bewundere die hübsche junge Frau für ihre Einstellung, und sie fordert mich geradezu auf, meine Gedanken über Kirche und Glauben zu revidieren und meinen eigenen Weg zu finden. Sie ist überhaupt nicht missionarisch, sondern einfach nur überzeugend nett. Dabei bin ich dem lieben Gott auf dem Weg doch schon ein ganz schönes Stück näher gekommen!
06.06.2007 San Nicolas – Sahagún – El Burgo Ranero
Was ist eigentlich mit meinem Körper los? In den Berichten und Aufzeichnungen der Reisejournalisten und Wanderer ist immer von Beschwerden in den ersten Tagen die Rede. Aber meine Füße, Beine und vielleicht auch der ganze Rest scheren sich einen Teufel um deren Berichte und tun noch immer weh. Jedes Aufstehen am Morgen fällt schwer, die Knochen und Muskeln tun weh. Jeder cm 2 meines rechten Fußes schmerzt und die erste Viertelstunde ist ein Kämpfen gegen den inneren Schweinehund. Aber warum schreibe ich das so oft?
Es sind tausende und abertausende auf dem Camino unterwegs. Die Herbergen sind jeden Nachmittag bereits überfüllt. Überfüllt mit großen und kleinen, mit dicken und dünnen, mit jungen und alten Pilgern. Und alle haben nur ein Ziel: Santiago de Compostela. Viele sind verbissen am Werk. Trotz Blessuren an den Beinen und Knien schleppen sie sich dahin. Ich habe Pilger gesehen, die unter den Füßen nur noch rohes Fleisch hatten und sich trotzdem Kilometer für Kilometer vorwärts schleppten. Also darf ich mich nicht
Weitere Kostenlose Bücher