Einfach hin und weg
nicht. So schlafe ich erst spät, beziehungsweise früh ein. In der Nacht werde ich wieder vor Schmerz wach. Schwierig, die Beine zu beruhigen, wenn man mit 50 Personen ein Schlafgemach teilt. Rechts und links tun mir sämtliche Muskeln weh, die Waden verkrampfen und zucken. Bevor ich verrückt werde, ist es besser wenn ich aufstehe. Nach den ersten Schritten geht es besser, nach weiteren hundert sogar noch besser.
Müde mache ich mir ein kleines Frühstück, packe den Rucksack auf den Rücken und wandere los. Bis Frómista sind es etwa 26 km und die habe ich mir vorgenommen.
Wieder erscheint der rote Sonnenball im Osten kurz nach meinem Aufbruch. Wieder ein warmer, sonniger Tag. Nach etwa einer Stunde überhole ich eine Engländerin, der ich gestern schon begegnet bin. Ann ist 70 Jahre alt und geht mit einer Krücke. Schwer trägt sie an ihrem Rucksack und sie erzählt mir, dass sie seit Jahren an Arthrose leidet. Sie hat sich fest vorgenommen, den Weg bis zum Ende zu gehen. Morgens bricht sie als erste auf, abends erreicht sie als letzte die Herberge. Müde und mit Schmerzen, aber sie will es absolut schaffen. Diese Lady hat wirklich einen eisernen Willen. Bewundernswert. Sie ist der Held, nicht ich. Was sind die Beschweren in meinen Beinen schon im Vergleich hierzu? Ich nehme mir fest vor, meine Wehwehchen nicht mehr ganz so ernst zu nehmen.
Aber was habe ich mir nicht schon alles vorgenommen?
Bevor ich losging, hatte ich mir einiges zurechtgelegt: nicht in Pilgerherbergen zu übernachten, um alleine zu sein und nicht gestört zu werden. Und was mache ich? Ich schlafe nur noch in Pilgerherbergen, weil es einfach dazu gehört und das trotz mancher Unannehmlichkeiten und Schnarchsymphonien. Ich tu es sogar gerne, weil man nur so an der Gemeinschaft teilnehmen kann.
Ich hatte vor, mir viel Zeit zu nehmen. Die Etappen kurz zu halten, auch einmal einen oder zwei Tage Auszeit zu nehmen, um mich zu erholen und alles noch besser zu genießen. Was tu ich? Ich laufe jeden Tag zwischen 25 und 30 km, manchmal sogar mehr.
Es gibt verschiedene Gründe. Zum einen bin ich, wenn ich nur kurze Strecken laufe, bereits vor Mittag am Ziel, denn schließlich wird man zwischen 7 und 8 Uhr aus der Herberge geworfen.
Und was will ich in den halbverlassenen Dörfern? Die nächste Herberge öffnet meist erst am Nachmittag. Nichts! Also weiterlaufen.....
Zum anderen habe ich mich daran gewöhnt, lieb gewordene Menschen am Abend wieder zu treffen, mit ihnen zu reden oder essen zu gehen. Sich auszutauschen. Also laufe ich möglichst so weit wie die anderen.
Der nächste Grund ist der Hauptgrund. Ab einer gewissen Kilometerzahl in den Beinen wird man müde. Die Schritte werden unmerklich langsamer. Hat man morgens bei Aufbruch noch frische Beine, rasen auch die Gedanken im Kopf herum. Wenn nach vielen Kilometern die Müdigkeit hochsteigt, hört man auf zu denken. Und ich habe mich öfter als einmal dabei erwischt, dass ich 10 Minuten oder mehr an nichts gedacht habe, wenn ich ein gewisses Quantum an Kilometern zurückgelegt hatte. Das ist doch das angepeilte Ziel, den Kopf frei zu bekommen. Möglichst nicht nur nach 25 km Gehen.
Über einen steilen Aufstieg geht es auf den Tafelberg und dann wieder hinunter zur Kirche von San Nicolas. Hier befindet sich eine der außergewöhnlichsten Pilgerunterkünfte des Jakobsweges. Die Kirche wurde Anfang der 90iger Jahre von einer italienischen Jakobsbruderschaft gekauft und in Eigenarbeit vollkommen restauriert. Die Herberge befindet sich im Kirchengebäude und hat 30 Betten im rechten Teil und im oberen Stock. Im linken Teil sind die kleine Küche mit dem Speiseraum und ein Platz für die Andachten. Nach altem Brauch wird hier den Pilgern bei Ankunft von den ehrenamtlichen Helfern der rechte Fuß gewaschen. Es gibt es ein von ihnen selbst zubereitetes Abendessen, das gemeinsam eingenommen wird. Singen und Musizieren runden den Abend ab. Ich habe selbst nicht hier übernachtet, aber andere Pilger erzählten mir von der eindrucksvollen, unbeschreiblichen Atmosphäre. Sollte es für mich ein nächstes Mal geben, werde ich das sicherlich nachholen und eine Nacht in San Nicolas bleiben.
Heute bekomme ich einen Kaffee angeboten, trink aber nur ein Glas Wasser und möchte weiter nach Frómista. Der Weg ist seit geraumer Zeit sehr steinig und tut den Füßen weh. Ich bin froh als ich gegen 2 Uhr in der Herberge ankomme und noch ein Platz frei ist. Füße pflegen und ein wenig massieren.
Ich hoffe,
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