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Einfach hin und weg

Einfach hin und weg

Titel: Einfach hin und weg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhard Jansen
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Mädchen. Schließlich ist es ja auch erst 8 Uhr in der Frühe.
    Wohl gelaunt nehme ich den Wanderstock in die Hand und eile dem hellen Streifen entgegen, der sich am Horizont abzeichnet.
    Ja, mein Wanderstock! Den habe ich mir gestern in Estella gekauft, für ganze 3 Euro. Er gefiel mir auf Anhieb. Liebe auf den ersten Blick. Einsam und verlassen stand er auf dem Hof eines Schreiners, ein einfacher Haselnussstock, dünn und mager, 150 cm hoch. Der musste es sein. Ich hatte seit meinem Aufbruch in Frankreich Brüder von ihm gesehen, die zum Verkauf angeboten wurden: dicke, mächtige Wanderstöcke, knorrig und gedreht, geschält, geschnitzt und lackiert, mit und ohne Zierrat. Die waren nicht nach meinem Geschmack. Erst recht nicht die Nordic Walking Stöcke, die viele mit sich herumschleppen. Ewiges Geklimper und Gehacke auf den asphaltierten Wegen, dass einem die Ohren schmerzen. Sieht aus wie beim Biathlon, nur das Gewehr fehlt. Also hab ich mir einen Stock nach meinem Pilgerempfinden gekauft: schlicht und einfach! Obwohl ich eigentlich immer die Hände frei haben wollte, um sie auch mal auf dem Rücken unter dem Rucksack verschränken zu können. Zum Entlasten der Schultern.
    Das muss ich jetzt eben mit einer Hand tun. Später wurde aus dem Stock eine „Sie“. Ich taufte sie Henriette, und sie war mir bis zum Schluss eine liebe Freundin und hat heute neben Henri, ihrem Partner, einen Ehrenplatz in der Wohnung.
    Ich laufe also mit meinem neuen Stock der Sonne entgegen, einsam und allein, und tatsächlich wird es bald heller. Der Regen lässt sogar zeitweilig etwas nach. Die schöne Aussicht macht vieles wett. Der Blick geht über viele Kilometer ins Land, schwarze Wolken fliegen am Himmel dahin, dazwischen ein paar Sonnenstrahlen. Felder, Wälder, Olivenhaine und Weinreben in allen Grünfarben, von hell bis dunkel, sehr intensiv. Der Wind bewegt die riesigen Getreidefelder und mehr als einmal singe ich das Lied von den wogenden Ähren und den rauschenden Wäldern aus voller Brust:
     
Es war als hätte der Himmel die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer, von ihm nur träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder, die Ähren wogten sacht.
Es rauschten leis die Wälder, so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande als flöge sie nach Haus.
     
    Was für Ausblicke. Was für ein Schauspiel. Und das bei Regen. Ich bin tief berührt.
    Noch einmal, auf dem Anstieg nach O Cebreiro, sollte mir das gleiche, nur dann noch intensiver, widerfahren. Doch davon später.
    Auch der Dreck unter den Schuhen tut der guten Stimmung nichts an. Es gibt keine Alternative, als durch den Schlamm zu gehen, der den Weg knöcheltief bedeckt. Der Regen hat alles aufgeweicht, neben dem Weg ist rechts und links Feld, und da sieht es noch schlimmer aus. Die Wanderschuhe werden schwerer und schwerer, seltsame Geräusche begleiten jeden Schritt. Es quaatscht und zischt, es spritzt und gurgelt. An jedem Schuh kleben 2 - 3 kg brauner bis hellroter Schlampes. Und das zum Gewicht des Rucksacks. Nach 2 km ist der Spuk vorbei. Abputzen im Gras, im nächsten Bach kurz abgewaschen und es ist, als sei nie etwas gewesen.
    Bis Los Arcos sind es 22 km. Dort angekommen, hat der Regen aufgehört. Die Sonne scheint und ich laufe noch 8 km weiter bis Torres del Rio. Nicht nur um vorwärts zu kommen, sondern auch um die Kleidung am Körper trocknen zu lassen. Das geht schneller als an der Wäscheleine.
    Überhaupt sind die Stoffe, aus denen Hemden, Hosen und T-Shirts gefertigt sind, einfach toll. Schnell zu waschen und, wenn es nicht regnet, schnell getrocknet. Ich habe ein Baumwoll-Shirt dabei. Wenn ich das wasche, ist das richtig Arbeit und das Trocknen dauert Ewigkeiten. Also ein dreifach Hoch auf die neuen Materialien, ich glaube man nennt sie Cooltex oder so ähnlich.
    In Torres del Rio ist der Teufel los. Kein Raum mehr in der Herberge. Ich bin 30 km gelaufen, habe platte Füße, bin trotz der aufgegangenen Sonne etwas ausgekühlt und möchte einfach nur ein Bett. Und die nächste Herberge ist mehr als 10 km entfernt. Ich bitte und bettele und bekomme im Gemeinschaftsraum eine Gymnastikmatte zugeteilt, die den Namen aber nicht verdient. 20 Jahre auf dem Buckel, dünn wie ein Plastikbeutel von Aldi.
    Ich verbringe die Nacht auf dieser „Matratze“, den Brotbeutel als Kopfkissen, den Schlafsack als einziges Mittel zum Unterlegen und Zudecken. Was hab ich mir angetan?? Der einzige

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