Einfach mehr Charisma
weiß, entsprechend zu manipulieren.
Ist Charisma immer positiv?
Ein Blick in die Geschichte oder auch in die aktuelle Weltpolitik zeigt, dass mit den genannten Merkmalen von Charisma noch keine inhaltliche Bewertung einer charismatischen Ausstrahlung vorgenommen werden kann. Die Herrschaft von Diktatoren und despotischen Führern ist ohne charismatische Wirkung nicht denkbar. Und wie man an vielen historischen Beispielen aufzeigen könnte, ist dieses „negative Charisma“ von starker Bewunderung und starkem Glauben gegenüber den Führungspersonen getragen und viele vertrauen diesen buchstäblich bis in den Tod, wie man beispielsweise an Gruppenselbstmorden von Sekten nachvollziehen kann.
Die amerikanischen Organisationswissenschaftler Jane Howell und Bruce Avolio unterscheiden ethisches von unethischem Charisma: Dem Ethiker liegen seine Gefolgsleute am Herzen, er hört auf sie und verhält sich gerecht. Der Unethiker herrscht autoritär, willkürlich und ohne Moral.
Es gibt unzählige psychoanalytische Autoren, wie zum Beispiel Heinz Kohut oder Len Oakes, die fest davon überzeugt sind, dass die meisten der großen Charismatiker der Weltgeschichte im Grunde genommen Narzissten waren. Diese Persönlichkeitsstörung ist durch mangelndes Selbstbewusstsein und Ablehnung der eigenen Person nach innen, verbunden mit einem übertriebenen und sehr ausgeprägten Selbstbewusstsein nach außen gekennzeichnet. Narzissten, also sehr eitle Menschen, sind immer auf der Suche nach Bewunderung und Anerkennung. Sie können anderen Menschen wenig echte Aufmerksamkeit schenken, neigen dazu, andere auszubeuten, und es fehlt ihnen an Einfühlungsvermögen. Ihr übertriebenes Gefühl von Wichtigkeit mündet darin, dass sie bestrebt sind, eine Sonderstellung einzunehmen, und überzeugt sind, diese zu verdienen. Häufig zeigen sie wahnhafte Störungen und Größenwahn. Ihre ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber Kritik ruft in ihnen Wut, Scham oder Demütigung hervor.
Narzissten können keine Fehler zugeben, und sie können es nicht ertragen, wenn andere im Mittelpunkt stehen. Ihr labiles Selbstwertgefühl ist häufig mit dem Gefühl der Leere und der Unfähigkeit, Gefühle, insbesondere Freude, zu empfinden, verbunden. Sie sind schnell verletzt und gekränkt und neigen zu Egozentrik – sie selbst sind der Mittelpunkt ihrer Welt. Auf andere wirken sie häufig egoistisch und arrogant, können aber auch sehr lebendig und charmant auftreten. Dies ist dann aber manipulierendes Verhalten, sie wollen etwas erreichen und „kochen“ den anderen „ein“. Sie sollten daher unbedingt lernen, einen Narzissten von einem selbstbewussten Charismatiker zu unterscheiden.
Genau dieser problematische Aspekt ist es auch, der den Begriff „Charisma“ in unserer Kultur häufig mit einem sehr negativen Beigeschmack gefärbt hat beziehungsweise die damit verbundenen Eigenschaften. Die Folgen: Sich hervorzutun, aufzufallen, anders zu sein als andere, sich selbst ins rechte Licht zu rücken, aus der Menge hervorzustechen und Persönlichkeit zu zeigen hat man den meisten Menschen im Laufe ihrer Erziehung systematisch ausgetrieben, und so fällt es vielen Menschen schwer. Mehr noch weckt solches Verhalten bei vielen Menschen auch negative Reaktionen wie zum Beispiel Neid und Missfallen. Und zu viele verschütten so ihre Talente und Fähigkeiten, warten ein Leben lang darauf, entdeckt zu werden, und gehen als graue Mäuse durchs Leben. So lassen sie andere auf der Karriereleiter nach oben, verzichten auf Glück und Erfolg. Ohne den Mut, sich selbst auch darzustellen und zu seinen Zukunftsplänen zu stehen, wird man aber leicht übersehen. Niemand kann sich ganz der Wirkung von charismatischen Menschen entziehen, und wenn man sich nicht mutig nach vorne wagt, bleibt möglicherweise immer das Gefühl, dass man es weiter gebracht haben könnte, wenn man sich nur getraut hätte.
Es ist gut, wenn wir lernen zu unterscheiden, ob es sich um ein Schein-Charisma handelt, das Hochstapler oder Profilneurotiker ausmacht, oder das faszinierende Charisma, das Leistungsträger und Weltverbesserer umgibt. Es mag in Einzelfällen gut möglich sein, dass ein Mensch, um eine Neurose oder seine Minderwertigkeitsgefühle zu kompensieren, einen ausgeprägten Profilierungsdrang und Eitelkeit hin bis zum Größenwahn entwickelt. Und wenn man sich die Biografien der großen Diktatoren anschaut, dann ist das wohl häufig genau so gewesen: nicht wirklich fähig zu irgendeiner
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