Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
Männer auf Erden handelte grundlos wie ein Idiot. Einer der gütigsten Männer auf Erden handelte grundlos wie ein Schurke. Das ist die ganze Geschichte; und nun sind Sie dran, mein Junge.«
»Nein, bin ich nicht«, sagte der andere mit einem Schnauben. »Sie sind dran; und Sie werden sie mir höchstselbst erzählen.«
»Na schön«, fuhr Father Brown fort, »es wäre nicht gerecht zu behaupten, daß die öffentliche Meinung so ist, wie ich eben gesagt habe, ohne hinzuzufügen, daß sich seither zwei Dinge ereignet haben. Ich kann nicht behaupten, daß sie ein neues Licht auf die Angelegenheit würfen, denn niemand kann sich einen Reim darauf machen. Aber sie warfen eine neue Dunkelheit, sie warfen die Dunkelheit in neue Richtungen. Das erste ist folgendes. Der Familienarzt der St. Clares bekam mit der Familie Streit und begann, eine Serie scharfer Artikel zu veröffentlichen, in denen er behauptete, der verblichene General sei von religiöser Manie besessen gewesen; aber soweit der Bericht reicht, scheint das kaum mehr zu bedeuten, als daß er ein religiöser Mann war. Auf alle Fälle hielt sich die Geschichte nicht lange. Jeder wußte natürlich, daß St. Clare einige der Exzentrizitäten puritanischer Frömmigkeit besaß. Der zweite Zwischenfall war sehr viel spannender. In jenem glücklosen Regiment, das den sinnlosen Angriff am Schwarzen Fluß unternahm, diente ein gewisser Hauptmann Keith, der damals mit St. Clares Tochter verlobt war und sie später auch heiratete. Er gehörte zu jenen, die Olivier gefangengenommen hatte und der wie alle übrigen außer dem General großzügig behandelt und umgehend wieder freigelassen worden war. Einige zwanzig Jahre später hat nun dieser Mann, inzwischen Oberstleutnant Keith, eine Art Autobiographie veröffentlicht mit dem Titel ›Ein britischer Offizier in Burma und Brasilien‹. An der Stelle, wo der Leser begierig nach einem Bericht über das Geheimnis um St. Clares Katastrophe sucht, findet er die folgenden Worte: ›Überall sonst in diesem Buch habe ich die Dinge genau so berichtet, wie sie sich ereignet haben, da ich der altmodischen Ansicht bin, daß der Ruhm Englands alt genug ist, um für sich selbst zu sorgen. Die Ausnahme mache ich in der Frage der Niederlage am Schwarzen Fluß; und meine Gründe dafür, obwohl privat, sind ehrenwert und zwingend. Ich will aber, um dem Gedächtnis zweier ausgezeichneter Männer Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, dieses hinzufügen. General St. Clare ist bei dieser Gelegenheit der Unfähigkeit bezichtigt worden; ich kann zum mindesten dies bezeugen, daß sein Unternehmen, richtig verstanden, eines der glänzendsten und klügsten seines Lebens war. Präsident Olivier ist durch ähnliche Berichte barbarischer Ungerechtigkeit bezichtigt worden. Ich halte es der Ehre eines Gegners gegenüber für meine Pflicht festzustellen, daß er bei dieser Gelegenheit mit noch größerer als seiner üblichen Hochherzigkeit handelte. Um das Ganze verständlicher auszudrücken: Ich kann meinen Landsleuten versichern, daß St. Clare keineswegs der Narr, noch Olivier die Bestie war, als die sie erscheinen. Das ist alles, was ich zu sagen habe; und nichts auf Erden wird mich dazu bewegen, dem noch ein Wort hinzuzufügen.‹«
Ein großer gefrorener Mond begann wie ein schimmernder Schneeball zwischen dem Gewirr der Zweige vor ihnen durchzuscheinen, und in seinem Licht hatte der Erzähler seine Erinnerung an Hauptmann Keith’ Text von einem Stück bedruckten Papiers auffrischen können. Als er es zusammenfaltete und wieder in die Tasche steckte, warf Flambeau die Hand in einer typisch französischen Geste hoch.
»Augenblick, Augenblick«, rief er aufgeregt. »Ich glaube, daß ich das auf Anhieb erraten kann.«
Er schritt schwer atmend voran, den schwarzen Kopf und den Stiernacken gebeugt wie ein Mann, der ein Geherrennen gewinnt. Der kleine Priester, erheitert und interessiert, hatte Mühe, sich an seiner Seite zu halten. Unmittelbar vor ihnen wichen die Bäume ein wenig nach links und rechts zurück, und die Straße schwang sich abwärts quer durch ein klares, monderleuchtetes Tal, bis sie wie ein Kaninchen in die Wand eines anderen Waldes tauchte. Der Eingang in diesen ferneren Wald erschien klein und rund wie das schwarze Loch eines entfernten Eisenbahntunnels. Ehe Flambeau aber wieder sprach, war er nur noch einige hundert Meter entfernt und gähnte wie eine Höhle.
»Ich hab’s«, schrie er schließlich und klatschte sich mit seiner
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