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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Abbild er geschaffen hatte. Der schmale Silberstift des Sternenlichts zeigte die massive metallische Gestalt eines hingesunkenen Soldaten, die starken Hände in ewigem Gebet gefaltet, das große Haupt auf eine Kanone gebettet. Das ehrwürdige Antlitz war bärtig, oder besser backenbärtig nach der alten plumpen Mode des Oberst Newcome. Die Uniform, nur mit den wenigen Strichen der Einfachheit angedeutet, war die des modernen Krieges. An seiner rechten Seite lag ein Säbel, dessen Spitze abgebrochen war; an seiner linken Seite lag eine Bibel. An durchglühten Sommernachmittagen kamen Wagenladungen von Amerikanern und gebildeten Vorstadtbewohnern, um die Grabstätte zu besichtigen; aber selbst dann empfanden sie das weite Waldland mit der einen kargen Kuppel über Kirchhof und Kirche als einen sonderbar stummen und vernachlässigten Ort. In diesem Eisesdunkel tiefsten Winters sollte man meinen, er sei allein gelassen mit den Sternen. Dennoch knarrte durch die Stille der starren Wälder ein hölzernes Tor, und zwei vage Gestalten in Schwarz erklommen den schmalen Pfad zum Grab.
    So schwach war das kalte Sternenlicht, daß an ihnen nichts zu erkennen war, außer daß beide schwarz gekleidet waren und der eine Mann riesig groß und der andere (vielleicht wegen des Kontrastes) geradezu erschreckend klein war. Sie stiegen hinauf zu dem großen gravitätischen Grabmal des historischen Kriegers und standen für ein paar Minuten da und starrten es an. Kein menschliches, vielleicht nicht einmal ein lebendes Wesen gab es in weitem Umkreis; und eine morbide Phantasie hätte sich wohl fragen können, ob sie denn selbst menschliche Wesen wären. Auf jeden Fall hätte der Anfang ihres Gespräches sonderbar erscheinen mögen. Nach einem ersten Schweigen sagte der kleine Mann zu dem anderen:
    »Wo verbirgt ein Weiser einen Kiesel?«
    Und der große Mann antwortete mit leiser Stimme: »Am Strand.«
    Der kleine Mann nickte und sagte nach kurzem Schweigen: »Wo verbirgt der Weise ein Blatt?«
    Und der andere antwortete: »Im Wald.«
    Wieder herrschte Schweigen, und dann faßte der große Mann zusammen: »Meinen Sie, daß wenn ein weiser Mann echte Diamanten zu verbergen hat, er sie jemals unter falschen verbirgt?« { * }
    »Nein nein«, sagte der kleine Mann lachend, »wir wollen Vergangenes vergangen sein lassen.«
    Er stampfte für ein oder zwei Sekunden mit seinen kalten Füßen und sagte dann: »Daran habe ich überhaupt nicht gedacht, sondern an etwas ganz anderes; etwas äußerst Merkwürdiges. Zünden Sie doch bitte ein Streichholz an, ja?«
    Der große Mann fummelte in seiner Tasche herum, und bald erfolgte ein Kratzen, und dann malte eine Flamme die ganze glatte Seite des Denkmals golden an. In sie waren in schwarzen Lettern die wohlbekannten Worte eingehauen, die so viele Amerikaner ehrfurchtsvoll gelesen haben: »Geweiht der Erinnerung an General Sir Arthur St. Clare, Held und Märtyrer, der seine Feinde Stets Besiegte und Stets Verschonte, und von Ihnen zuletzt Verräterisch Erschlagen Ward. Wolle Gott, auf Den er Vertraute, ihn Belohnen und Rächen.«
    Das Streichholz verbrannte des großen Mannes Finger, erlosch und fiel zu Boden. Er wollte schon ein weiteres entzünden, aber sein kleiner Gefährte hielt ihn ab. »Schon gut, Flambeau, mein Alter; ich habe gesehen, was ich wollte. Oder besser, ich habe nicht gesehen, was ich nicht wollte. Und jetzt müssen wir bis zum nächsten Wirtshaus anderthalb Meilen die Straße entlanggehen, und da werde ich versuchen, Ihnen alles darüber zu erzählen. Denn beim Himmel, man braucht ein Kaminfeuer und Ale, wenn man es wagt, eine solche Geschichte zu erzählen.«
    Sie stiegen den steilen Pfad hinab, sie verriegelten das rostige Tor hinter sich, und sie machten sich auf zu einem stampfenden klirrenden Marsch über den gefrorenen Waldweg. Sie waren bereits eine gute Viertelmeile gegangen, als der kleine Mann wieder sprach. Er sagte: »Ja; der Weise verbirgt den Kiesel am Strand. Aber was macht er, wenn es da keinen Strand gibt? Haben Sie je von der großen St.-Clare-Affäre gehört?«
    »Ich weiß nichts über englische Generäle, Father Brown«, antwortete der große Mann lachend, »obwohl ich einiges über englische Polizisten weiß. Ich weiß nur, daß Sie mich einen reichlich langen Tanz zu all den Schreinen dieses Burschen haben machen lassen, wer immer er war. Man sollte meinen, daß man ihn an sechs verschiedenen Orten begraben hat. Ich habe in der Westminster-Abtei ein Denkmal des

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