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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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großen Hand auf die Schenkel. »Vier Minuten Nachdenken, und ich kann Ihnen die ganze Geschichte erzählen.«
    »Alsdann«, stimmte sein Freund zu. »Erzählen Sie sie.«
    Flambeau hob den Kopf, aber senkte die Stimme. »General Sir Arthur St. Clare«, sagte er, »entstammte einer Familie, in der Wahnsinn erblich ist; und sein einziges Ziel war, das vor seiner Tochter und, wenn möglich, sogar vor seinem zukünftigen Schwiegersohn geheimzuhalten. Er bildete sich zu Recht oder zu Unrecht ein, daß der endgültige Zusammenbruch nahe sei, und entschloß sich zum Selbstmord. Doch ein gewöhnlicher Selbstmord würde gerade das herausposaunen, was er so fürchtete. Als der Feldzug näherrückte, verdichteten sich auch die Wolken in seinem Gehirn, und in einem wahnerfüllten Augenblick opferte er seine öffentlichen Pflichten seinen privaten auf. Er stürzte sich Hals über Kopf in die Schlacht und hoffte, beim ersten Schuß zu fallen. Als er feststellen mußte, daß er lediglich Gefangenschaft und Schande erreicht hatte, platzte die versiegelte Bombe in seinem Hirn, und er zerbrach seinen Säbel und hängte sich auf.«
    Er starrte fest auf die graue Front des Waldes vor ihm, mit dem einen schwarzen Loch darin wie der Mund des Grabes, wohinein sich ihr Pfad stürzte. Vielleicht verstärkte etwas Bedrohliches an der so plötzlich verschlungenen Straße seine lebhafte Vision der Tragödie, denn er erschauerte. »Eine furchtbare Geschichte«, schloß er.
    »Eine furchtbare Geschichte«, wiederholte der Priester mit gesenktem Kopf; »aber nicht die wahre Geschichte.«
    Dann warf er den Kopf in einer Art Verzweiflung zurück und rief: »Oh, ich wünschte, sie wäre es.«
    Der große Flambeau wandte sich um und starrte ihn an.
    »Ihre Geschichte ist eine saubere«, rief Father Brown tief bewegt. »Eine gütige, reine, redliche Geschichte, so klar und weiß wie jener Mond. Wahnsinn und Verzweiflung sind unschuldig genug. Es gibt schlimmere Dinge, Flambeau.«
    Flambeau blickte wild zu dem so angerufenen Mond auf; und von da aus, wo er stand, sah er einen schwarzen Baumast sich genau wie ein Teufelshorn über ihn krümmen.
    »Father – Father«, rief er mit seiner französischen Geste und schritt noch schneller aus, »Sie meinen, es war noch schlimmer?«
    »Noch schlimmer«, sagte der andere wie ein tiefes Echo. Und sie tauchten in den schwarzen Kreuzgang des Waldes, der sich neben ihnen als düstere Tapete aus Stämmen hinzog, wie einer der dunklen Korridore in einem Traum.
    Bald befanden sie sich im geheimsten Inneren des Waldes und fühlten dicht über sich Laubwerk, das sie nicht sehen konnten, als der Priester wieder fragte:
    »Wo verbirgt der Weise ein Blatt? Im Wald. Aber was tut er, wenn da kein Wald ist?«
    »Gut, gut«, schrie Flambeau gereizt, »was also tut er?«
    »Er läßt einen Wald wachsen, um es darin zu verbergen«, sagte der Priester mit undeutlicher Stimme. »Eine furchtbare Sünde.«
    »Passen Sie auf«, rief sein Freund ungeduldig, denn der düstere Wald und die düstere Rede gingen ihm an die Nerven; »wollen Sie mir die Geschichte erzählen oder nicht? Was für andere Beweisstücke kann man denn noch heranziehen?«
    »Es gibt noch drei weitere Stückchen Beweise«, sagte der andere, »die ich in Löchern und Ecken ausgegraben habe, und ich will sie in logischer statt in chronologischer Reihenfolge vorlegen. Zuallererst haben wir natürlich als Quelle für Verlauf und Ausgang der Schlacht Oliviers Meldungen, die klar genug sind. Er hatte sich mit zwei oder drei Regimentern auf der Höhe über dem Schwarzen Fluß verschanzt, auf dessen anderem Ufer sich niedrigerer und sumpfiger Grund erstreckte. Dahinter hob sich das Land wieder sanft, und darauf befand sich der erste englische Vorposten, unterstützt von anderen, die allerdings weiter zurück lagen. Die britischen Kräfte waren zahlenmäßig insgesamt längst überlegen; aber dieses eine britische Regiment war gerade so weit von seiner Basis entfernt, daß Olivier erwog, den Fluß zu überschreiten und es abzuschneiden. Bei Sonnenuntergang hatte er sich jedoch entschlossen, in seiner Stellung zu bleiben, die besonders stark war. Am nächsten Morgen war er bei Tagesanbruch wie vom Donner gerührt, als er sah, daß diese verirrte Handvoll Engländer, völlig ohne Unterstützung von der Hauptmacht, den Fluß überschritten hatten, die eine Hälfte über eine Brücke zur Rechten, die andere durch eine weiter oben gelegene Furt, und sich auf dem sumpfigen Ufer

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