Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
einigermaßen schmollend auf eine der grünen Bänke. Der Priester setzte sich in ein oder zwei Meter Entfernung von ihm nieder, und Muscari wandte ihm seine Adlernase in einer momentanen Verärgerung zu.
»Na«, sagte der Poet schneidend, »meinen die Herrschaften immer noch, ich sei zu romantisch? Gibt es, frage ich, immer noch Banditen in den Bergen?«
»Könnte sein«, sagte Father Brown agnostisch.
»Was meinen Sie damit?« fragte der andere scharf.
»Ich meine, daß ich verwirrt bin«, erwiderte der Priester. »Mich verwirrt Ezza oder Montano oder wie immer er heißen mag. Er scheint mir als Bandit noch viel unerklärlicher denn als Reiseführer.«
»Aber wieso denn?« fragte sein Gefährte nach. »Santa Maria! Mir scheint, daß er als Bandit doch einfach genug ist.«
»Ich finde da drei eigenartige Schwierigkeiten«, sagte der Priester mit ruhiger Stimme. »Ich würde dazu ganz gerne Ihre Meinung hören. Zunächst muß ich berichten, daß ich in jenem Restaurant am Meeresufer gespeist habe. Als Sie zu viert den Raum verließen, gingen Sie und Miss Harrogate vorauf, Sie sprachen und lachten miteinander; der Bankier und der Reiseführer folgten Ihnen, sie sprachen kaum und dann sehr leise. Aber ich konnte es nicht vermeiden, Ezza sagen zu hören: ›Na schön, lassen wir sie noch ein bißchen Spaß haben; Sie wissen ja, welcher Schlag sie jeden Augenblick niederwerfen kann.‹ Mr. Harrogate antwortete nichts; also müssen diese Worte einige Bedeutung gehabt haben. Aus dem Impuls des Augenblicks heraus warnte ich ihren Bruder, daß sie in Gefahr sein könnte; ich sagte aber nichts über deren Natur, denn die kannte ich nicht. Doch wenn es diese Entführung im Gebirge bedeuten sollte, dann ist das alles Unsinn. Warum sollte der Banditen-Reiseführer seinen Brotherrn selbst auch nur durch einen Hinweis warnen, wenn es doch sein ganzes Streben war, ihn in diese Gebirgsmausefalle zu locken? Also kann das nicht gemeint gewesen sein. Wenn aber nicht das, was ist dann jene Gefahr, die sowohl der Reiseführer wie der Bankier kennen und die über Miss Harrogates Haupt schwebt?«
»Gefahr für Miss Harrogate!« brach der Poet aus und richtete sich heftig auf. »Erklären Sie sich; los, weiter.«
»Alle meine Rätsel drehen sich um unseren Banditenhäuptling«, fuhr der Priester nachdenklich fort. »Und hier kommt das zweite. Warum hat er in seiner Lösegeldforderung so nachdrücklich die Tatsache betont, daß er seinem Opfer an Ort und Stelle bereits 2000 Pfund abgenommen hat? Das kann doch das Lösegeld in keiner Weise lockerer machen. Ganz im Gegenteil. Harrogates Freunde würden doch sehr viel eher um ihn Befürchtungen hegen, wenn sie glauben, daß die Räuber arm und verzweifelt sind. Und doch wurde die Ausplünderung an Ort und Stelle nicht nur betont, sondern auch noch an die erste Stelle vor die Lösegeldforderung gesetzt. Warum sollte Ezza Montano ganz Europa erzählen wollen, daß er die Taschen des Opfers vor der Erpressung leerte?«
»Kann ich mir auch nicht vorstellen«, sagte Muscari und rieb sich sein schwarzes Haar ausnahmsweise mit einer natürlichen Geste. »Vielleicht glauben Sie, daß Sie mich erleuchtet haben, aber Sie haben mich nur tiefer in die Dunkelheit geführt. Und was ist der dritte Einwand gegen den König der Diebe?«
»Der dritte Einwand«, sagte Father Brown immer noch nachdenklich, »ist dieser Rand, auf dem wir sitzen. Warum nennt unser Banditen-Reiseführer das hier seine Hauptburg und das Paradies der Diebe? Es ist sicherlich eine sanfte Stelle, um darauf zu stürzen, und eine liebliche Stelle, um sie anzusehen. Es ist auch wahr, daß sie, wie er sagt, vom Tal wie vom Berg aus unsichtbar ist und also ein Versteck. Aber es ist keine Burg. Es könnte nie eine Burg sein. Ich halte es für die schlechteste Befestigung auf Erden. Denn in Wirklichkeit wird sie von der öffentlichen Hochstraße über die Berge da oben beherrscht – ausgerechnet von jenem Platz aus, an dem die Polizei mit großer Sicherheit vorüberkäme. Haben uns denn nicht fünf schäbige kurzläufige Flinten hier noch vor einer halben Stunde hilflos festgehalten? Auch nur ein Zug von Soldaten jeder beliebigen Art könnte uns mühelos über den Klippenrand blasen. Was immer also dieser sonderbare kleine Fleck aus Gras und Blumen bedeuten mag, eine Verschanzung ist er nicht. Er ist irgend etwas anderes; er hat irgendeine andere eigenartige Bedeutung; irgendeinen Wert, den ich nicht begreife. Das Ganze ist eher eine
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