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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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war ein wirklich großer Bandit, wenn Sie so wollen. Und sein letzter Trick ist meines Wissens ohne Vorbild. Er floh mit dem Geld der Gesellschaft nach Italien, wo er sich von falschen Banditen, die in seinem Solde standen, entführen ließ, um so das Verschwinden des Geldes ebenso wie sein eigenes Verschwinden zu erklären. Diese Lösegeldforderung ist von der Polizei fast überall ernstgenommen worden. Aber solche vorzüglichen Spiele hat er schon seit Jahren gespielt, mindestens so vorzügliche. Er wird ein schwerer Verlust für seine Familie sein.«
    Muscari führte die unglückliche Tochter fort, die sich eng an ihn klammerte, wie sie das noch für viele Jahre danach tun sollte. Aber selbst während dieses tragischen Zusammenbruchs konnte er ein Lächeln und einen Handschlag halb spöttischer Freundschaft für den unhaltbaren Ezza Montano nicht unterdrücken. »Und wohin ziehst du jetzt?« fragte er über die Schulter.
    »Birmingham«, antwortete der Schauspieler und paffte aus seiner Zigarette. »Hab ich dir nicht erzählt, daß ich Futurist bin? Ich glaube wirklich an diese Dinge, wenn ich denn überhaupt an etwas glaube. Wechsel, Bewegung und Neues jeden Morgen. Ich gehe nach Manchester, Liverpool, Leeds, Hull, Huddersfield, Glasgow, Chicago – kurz: in die aufgeklärte, energiegeladene, zivilisierte Gesellschaft!«
    »Kurz«, sagte Muscari, »in das wahre Paradies der Diebe.«

Das Duell des Dr. Hirsch
     
    M onsieurMaurice Brun und Monsieur Armand Armagnac querten die sonnenbeschienenen Champs Elysées in einer Art lebhafter Ehrbarkeit. Sie waren beide kurz, kräftig und kühn. Sie trugen beide schwarze Bärte, die aber nicht zu ihren Gesichtern zu gehören schienen dank der sonderbaren französischen Mode, die echtes Haar wie falsches aussehen läßt. Monsieur Brun trug ein dunkles keilförmiges Bärtchen, das ihm offenbar an die Unterlippe geklebt war. Monsieur Armagnac trug zur Abwechslung zwei Bärte; je einer sproß an den beiden Ecken seines energischen Kinns hervor. Beide waren jung. Beide waren Atheisten, mit deprimierend festgelegten Ansichten, aber höchst beweglich in ihrer Darlegung. Beide waren Schüler des großen Dr. Hirsch, Wissenschaftler, Publizist, Moralist.
    Monsieur Brun war berühmt geworden durch seinen Vorschlag, aus allen französischen Klassikern das geläufige Wort »Adieu« zu streichen, und eine leichte Geldstrafe für seine Verwendung im Privatleben zu verhängen. »Dann«, sagte er, »wird selbst der Name eures eingebildeten Gottes zum letzten Male im Ohr der Menschheit erklungen sein.« Monsieur Armagnac spezialisierte sich hingegen mehr auf einen Widerstand gegen den Militarismus und wünschte den Refrain der Marseillaise geändert von »Zu den Waffen, Bürger« in »Auf zum Streike, Bürger«. Doch war sein Antimilitarismus ausgesprochen eigenartig und gallisch. Ein hervorragender und äußerst reicher englischer Quaker, der ihn besuchte, um mit ihm die Entwaffnung des ganzen Planeten zu planen, ward von Armagnacs Vorschlag recht gepeinigt, man solle (als Anfang) die Soldaten ihre Offiziere erschießen lassen.
    Und tatsächlich unterschieden sich beide Männer in dieser Hinsicht am meisten von ihrem Führer und Vater in der Philosophie. Dr. Hirsch war, obwohl in Frankreich geboren und mit den triumphalsten Segnungen der französischen Erziehung ausgestattet, von ganz anderem Temperament – sanft, träumerisch, menschlich; und trotz seines skeptischen Denksystems nicht ohne Sinn fürs Transzendentale. Um es kurz zu machen, er ähnelte mehr einem Deutschen als einem Franzosen; und so sehr sie ihn auch bewunderten, etwas im Unterbewußtsein dieser Gallier wurde durch seine so friedfertige Weise, sich für den Frieden einzusetzen, gereizt. Den Friedensfreunden in ganz Europa aber galt Paul Hirsch als ein Heiliger der Wissenschaft. Seine umfassenden und kühnen kosmischen Theorien bezeugten sein strenges Leben und seine unschuldige, wenn auch etwas frostige Moralität; er vertrat so etwas wie die Position Darwins, verdoppelt um die Position Tolstois. Doch war er weder anarchistisch noch antipatriotisch; seine Ansichten über die Abrüstung waren gemäßigt und evolutionär – die republikanische Regierung setzte hinsichtlich bestimmter chemischer Verbesserungen beträchtliches Vertrauen in ihn. Jüngst hatte er sogar einen geräuschlosen Sprengstoff entdeckt, dessen Geheimnis die Regierung sorgfältig hütete.
    Sein Haus stand in einer hübschen Straße nahe dem Elysée –

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