Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
sagte der rothaarige Mann und entfernte seine Zigarre; »ich werd da selbst in ein paar Minuten vorbeikommen, aber ich will weiter zum Pendragon Park und mir den Spaß ansehen.«
»Was ist der Pendragon Park?« fragte Calhoun Kidd.
»Der Besitz von Sir Claude Champion – sind Sie denn nicht auch deswegen hergekommen?« fragte der andere Pressemann und blickte auf. »Sie sind doch Journalist, oder?«
»Ich bin gekommen, um Herrn Boulnois zu sehen«, sagte Kidd.
»Ich bin gekommen, um Frau Boulnois zu sehen«, erwiderte der andere. »Aber ich werde sie kaum zu Hause erwischen.« Und er lachte ziemlich unerfreulich.
»Sind Sie am Katastrophismus interessiert?« erkundigte sich der verwunderte Yankee.
»Ich bin an Katastrophen interessiert; und es wird ein paar geben«, erwiderte sein Genosse düster. »Ich betreibe ein schmutziges Geschäft, und hab nie was anderes behauptet.«
Damit spie er auf den Boden; und doch konnte man gerade an Tat und Zeitpunkt erkennen, daß der Mann als Gentleman erzogen worden war.
Der amerikanische Pressemann betrachtete ihn aufmerksamer. Sein Gesicht war fahl und verwüstet und verriet die Fähigkeit zum Ausbruch beachtlicher Leidenschaften; aber es war ein kluges und feinfühliges Gesicht; seine Kleidung war grob und nachlässig, aber er trug einen wertvollen Siegelring an einem seiner langen dünnen Finger. Sein Name war, wie sich im Gespräch herausstellte, James Dalroy; er war der Sohn eines bankrotten irischen Grundbesitzers und arbeitete für ein Blatt der Regenbogenpresse namens ›Die feine Gesellschaft‹, das er von Herzen verabscheute, als Reporter und als etwas einem Spion schmerzlich Ähnliches.
›Die feine Gesellschaft‹, ich bedaure, das sagen zu müssen, empfand nichts von dem Interesse an Boulnois oder Darwin, das Herz und Hirn der ›Western Sun‹ solche Ehre machte. Dalroy war offenbar hergekommen, um die Spur eines Skandals auszuschnüffeln, die leicht vor dem Scheidungsrichter enden konnte, sich aber gegenwärtig zwischen Grey Cottage und Pendragon Park erstreckte.
Sir Claude Champion war den Lesern der ›Western Sun‹ ebenso bekannt wie Mr. Boulnois. So wie der Papst und der Derby-Sieger; aber die Vorstellung, diese beiden könnten sich näher kennen, wäre Kidd als ebenso absurd vorgekommen. Er hatte über Sir Claude Champion reden gehört (und über ihn geschrieben, gar fälschlich vorgegeben, ihn zu kennen) als »einen der blendendsten und wohlhabendsten von Englands Oberen Zehn«; als den großen Sportsmann, der Rennjachten rund um die Welt segelte; als den großen Reisenden, der Bücher über den Himalaja schrieb; als den Politiker, der Wählermassen mit einer aufregenden Variante von Tory-Demokratie anzog; als den großen Liebhaber der Künste, der Musik, der Literatur und, vor allem, der Schauspielkunst. Sir Claude war wirklich in den Augen aller außer der Amerikaner großartig. In seiner alles verschlingenden Kultur und seiner rastlosen Sucht nach Öffentlichkeit war etwas von einem Renaissancefürsten; er war nicht nur ein hervorragender, er war sogar ein glühender Amateur. An ihm war nichts von jener altertümelnden Oberflächlichkeit, die wir mit dem Begriff des »Dilettanten« verbinden.
Jenes makellose Falkenprofil mit den brillantschwarzen italienischen Augen, das so oft sowohl für ›Die Feine Gesellschaft‹ wie für die ›Western Sun‹ geschnappschußt worden war, vermittelte jedermann den Eindruck eines Mannes, den der Ehrgeiz wie ein Feuer oder gar wie eine Seuche zerfraß. Aber obwohl Kidd viel über Sir Claude wußte – tatsächlich mehr, als es zu wissen gab –, wäre es ihm selbst in seinen wildesten Träumen nicht eingefallen, diesen so glänzenden Aristokraten mit jenem jüngst erst ausgegrabenen Begründer des Katastrophismus in Beziehung zu bringen oder zu ahnen, daß Sir Claude Champion und John Boulnois enge Freunde seien. Das aber war, nach Dalroys Bericht, dennoch eine Tatsache. Die beiden hatten zusammen Schule und Universität besucht, und obwohl ihre gesellschaftlichen Geschicke sich gänzlich unterschiedlich gestalteten (denn Champion war Großgrundbesitzer und nahezu Millionär, während Boulnois ein armer und bis vor kurzem auch noch unbekannter Gelehrter war), waren sie doch in engem Kontakt miteinander geblieben. Boulnois’ Cottage stand sogar unmittelbar vor den Toren von Pendragon Park.
Ob aber die beiden Männer noch sehr viel länger Freunde bleiben könnten, wurde zu einer dunklen und häßlichen
Weitere Kostenlose Bücher