Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
Vom Netzwerk:
benachrichtigt.«
    »Weiß es Frau Boulnois?« fragte James Dalroy; und wieder wurde Kidd sich des irrationalen Wunsches bewußt, ihm eins über seinen sich kräuselnden Mund zu geben.
    »Ich hab’ es ihr nicht erzählt«, sagte der Doktor schroff; »aber hier kommt die Polizei.«
    Der kleine Priester war auf den Hauptweg hinausgetreten und kam jetzt mit dem niedergefallenen Degen zurück, der sich neben seiner dicklichen, klerikalischen und gewöhnlichen Gestalt lächerlich groß und theatralisch ausnahm. »Bevor die Polizei kommt«, sagte er entschuldigend, »hat jemand ein Licht?«
    Der Yankee-Journalist zog eine elektrische Lampe aus seiner Tasche, und der Priester hielt sie nahe an die Mitte der Klinge, die er mit blinzelnder Sorgfalt untersuchte. Dann reichte er die lange Waffe ohne einen Blick auf Spitze oder Knauf dem Arzt.
    »Hier bin ich nicht mehr von Nutzen«, sagte er mit einem kurzen Seufzer. »So wünsche ich Ihnen denn eine gute Nacht, die Herren.« Und er schritt durch die dunkle Allee auf das Haus zu, die Hände hinter sich verschränkt und den großen Kopf nachdenklich gebeugt.
    Der Rest der Gruppe hastete zum Parktor, wo ein Inspektor und zwei Konstabler bereits im Gespräch mit dem Pförtner zu sehen waren. Der kleine Priester aber schritt immer langsamer und langsamer durch den dunklen Kreuzgang der Föhren und blieb schließlich abrupt an den Stufen zum Haus stehen. Das war seine schweigende Art der Anerkennung einer ebenso schweigenden Annäherung; denn ihm entgegen kam ein Wesen, das selbst Calhoun Kidds Anforderungen an einen lieblichen und aristokratischen Geist hätte zufriedenstellen können. Es war eine junge Frau, gekleidet in Silbersatin im Renaissance-Stil; ihr goldenes Haar hing in zwei langen schimmernden Zöpfen nieder, und ihr Gesicht war zwischen ihnen von so erschreckender Blässe, als sei sie chryselefantin – wie einige der alten griechischen Statuen also gefertigt aus Elfenbein und Gold. Aber ihre Augen waren sehr hell, und ihre Stimme, obwohl leise, war vertrauensvoll.
    »Father Brown?« sagte sie.
    »Mrs. Boulnois?« erwiderte er ernst. Dann sah er sie an und sagte sofort: »Wie ich sehe, wissen Sie von Sir Claude.«
    »Woher wissen Sie, daß ich weiß?« fragte sie gelassen.
    Er beantwortete die Frage nicht, sondern stellte eine andere: »Haben Sie Ihren Gatten gesehen?«
    »Mein Gatte ist zu Hause«, sagte sie. »Er hat mit all dem hier nichts zu tun.«
    Wiederum antwortete er nicht; und die Frau trat näher zu ihm hin mit einem eigenartig intensiven Gesichtsausdruck.
    »Soll ich Ihnen noch mehr erzählen?« sagte sie mit einem ängstlichen Lächeln. »Ich glaube nicht, daß er es getan hat, und Sie glauben es auch nicht.«
    Father Brown gab ihren Blick mit einem langen ernsten zurück, und dann nickte er noch ernster.
    »Father Brown«, sagte die Dame, »ich werde Ihnen alles sagen, was ich weiß, aber ich bitte Sie zuvor um einen Gefallen. Würden Sie mir bitte sagen, warum Sie sich nicht der Schlußfolgerung angeschlossen haben, der arme John sei schuldig, wie alle anderen es taten? Sprechen Sie ganz offen: Ich – ich kenne den Klatsch und den Augenschein, der gegen ihn spricht.«
    Father Brown sah ehrlich verlegen aus und fuhr sich mit der Hand über die Stirne. »Zwei sehr kleine Dinge«, sagte er. »Zum mindesten ist das eine sehr banal und das andere sehr vage. Aber dennoch passen sie nicht zur These, daß Mr. Boulnois der Mörder sei.«
    Er wandte sein leeres rundes Gesicht den Sternen zu und fuhr geistesabwesend fort: »Um von der vagen Idee zuerst zu sprechen: Ich messe vagen Ideen große Bedeutung bei. All jene Dinge, die ›keine Beweise‹ sind, sind die, die mich überzeugen. Für mich ist eine moralische Unmöglichkeit die größte aller Unmöglichkeiten. Ich kenne Ihren Mann nur oberflächlich, aber mir erscheint dieses sein Verbrechen, von dem alle überzeugt sind, als eine moralische Unmöglichkeit. Bitte glauben Sie nicht, daß ich dächte, Boulnois könne nicht so böse sein. Jeder kann böse sein – so böse wie er will. Wir können unseren moralischen Willen steuern; aber wir können unsere instinktiven Neigungen und Handlungsweisen nicht grundlegend ändern. Boulnois könnte sicherlich einen Mord begehen, aber nicht diesen Mord. Er würde niemals Romeos Degen aus seiner romantischen Scheide reißen; oder seinen Feind auf der Sonnenuhr wie auf einem Altar erschlagen; oder seine Leiche zwischen den Rosen liegenlassen; oder den Degen zwischen die

Weitere Kostenlose Bücher