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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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Kiefern schleudern. Wenn Boulnois jemanden umbrächte, würde er das unauffällig und bedachtsam tun, wie er alles Zweifelhafte tun würde – ein zehntes Glas Portwein trinken, oder einen frivolen griechischen Dichter lesen. Nein, die romantische Inszenierung entspricht nicht Boulnois. Sie entspricht eher Champion.«
    »Ah!« sagte sie und sah ihn an mit Augen wie Diamanten.
    »Und das banale Ding war dieses«, sagte Brown. »Es gab Fingerabdrücke auf dem Degen; Fingerabdrücke können noch eine lange Zeit nach ihrem Entstehen entdeckt werden, wenn sie sich auf einer polierten Oberfläche wie Glas oder Stahl befinden. Diese waren auf einer polierten Oberfläche. Sie waren etwa in der Mitte der Degenklinge. Ich habe nicht den geringsten Hinweis, wessen Abdrücke das waren; aber warum sollte irgend jemand einen Degen in der Mitte anfassen? Es ist ein langer Degen, aber Länge ist ein Vorteil beim Ausfall gegen einen Feind. Wenigstens bei den meisten Feinden. Bei allen Feinden mit einer Ausnahme.«
    »Mit einer Ausnahme«, wiederholte sie.
    »Es gibt nur einen einzigen Feind«, sagte Father Brown, »den man leichter mit dem Dolch als mit dem Degen töten kann.«
    »Ich weiß«, sagte die Frau. »Sich selbst.«
    Es folgte ein langes Schweigen, und dann sagte der Priester ruhig, aber abrupt: »Also habe ich recht? Hat Sir Claude sich selbst getötet?«
    »Ja«, sagte sie mit einem Antlitz wie aus Marmor. »Ich sah ihn selbst es tun.«
    »Starb er«, sagte Father Brown, »aus Liebe zu Ihnen?«
    Ein ungewöhnlicher Ausdruck huschte über ihre Züge, ganz anders als Mitleid, Bescheidenheit, Reue oder irgend etwas, das ihr Begleiter erwartete: ihre Stimme wurde plötzlich kräftig und klingend. »Ich glaube nicht«, sagte sie, »daß er sich je auch nur einen Deut aus mir gemacht hat. Er haßte meinen Mann.«
    »Warum?« fragte der andere und kehrte sein rundes Gesicht vom Himmel ab der Dame zu.
    »Er haßte meinen Mann, weil… es ist so sonderbar, daß ich kaum weiß, wie ich es sagen soll… weil…«
    »Ja?« sagte Brown geduldig.
    »Weil mein Mann ihn nicht hassen wollte.«
    Father Brown nickte nur und schien immer noch zu lauschen; er unterschied sich von den meisten Detektiven in der Wirklichkeit wie in der Dichtung in einem kleinen Punkt – er gab nie vor, nicht zu verstehen, wenn er vollkommen verstand.
    Mrs. Boulnois kam erneut näher mit dem gleichen maßvollen Glühen der Gewißheit. »Mein Mann«, sagte sie, »ist ein großer Mann. Sir Claude Champion war kein großer Mann: er war ein berühmter und erfolgreicher Mann. Mein Mann war nie berühmt oder erfolgreich; und es ist die feierliche Wahrheit, daß er niemals auch nur davon geträumt hat, es zu sein. Er erwartet ebensowenig, wegen seines Denkens berühmt zu werden, wie etwa wegen des Rauchens von Zigarren. Was all diese Dinge angeht, ist er von einer herrlichen Dummheit. Er ist niemals erwachsen geworden. Er liebte Champion immer noch so, wie er ihn auf der Schule liebte; er bewunderte ihn, wie er einen Zaubertrick bewundern würde, der bei Tisch vorgeführt wird. Aber durch nichts hätte man ihn dazu bringen können, Champion zu beneiden. Und Champion wollte beneidet werden. Das machte ihn verrückt, und deshalb brachte er sich um.«
    »Ja«, sagte Father Brown; »ich glaube, ich beginne zu verstehen.«
    »Aber sehen Sie das denn nicht?« rief sie; »das Ganze ist doch dafür inszeniert worden – der Platz wurde dafür geplant. Champion setzte John in ein kleines Haus vor seiner eigenen Tür, wie einen Dienstmann – um ihn sein Versagen spüren zu lassen. Er hat es nie gespürt. An solche Sachen denkt er genauso wenig wie – wie ein zerstreuter Löwe. Champion pflegte hereinzuplatzen, wenn John am schäbigsten aussah oder zu den bescheidensten Mahlzeiten, mit irgendeinem aufwendigen Geschenk oder einer Ankündigung oder einer Unternehmung, die das wie Besuche von Harun al-Raschid wirken ließ, und John nahm an oder lehnte ab, mit jener sozusagen halben Aufmerksamkeit, mit der ein Schüler faul die Meinung eines anderen teilt oder nicht. Nach fünf solchen Jahren hatte John sich nicht um ein Jota geändert, aber Sir Claude Champion war zum Monomanen geworden.«
    »Und Haman begann und erzählte ihnen«, sagte Father Brown, »von all den Dingen, womit ihn der König geehrt hatte; und er sagte: ›Dies alles ist mir nichts, solange ich noch Mordekai den Juden im Tore sitzen sehe.‹«
    »Die Krise kam«, fuhr Mrs. Boulnois fort, »als ich John überredet

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