Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit
hatte, mich einige seiner Überlegungen aufschreiben und an eine Zeitschrift schicken zu lassen. Sie begannen Aufmerksamkeit zu erwecken, vor allem in Amerika, und eine Zeitung wollte ihn interviewen. Als Champion (der fast jeden Tag interviewt wird) von diesem späten kleinen Krümel des Erfolges hörte, der seinem sich dessen unbewußten Nebenbuhler zufiel, brach das letzte Glied der Kette, die seinen teuflischen Haß gebändigt hatte. Damals begann er jene wahnsinnige Belagerung meiner Liebe und Ehre, die seither das Gespräch der Grafschaft war. Sie werden fragen wollen, warum ich diese abscheulichen Aufmerksamkeiten zugelassen habe. Darauf antworte ich, daß ich sie nicht hätte ablehnen können, ohne das meinem Mann zu erklären, und es gibt bestimmte Dinge, die die Seele nicht über sich bringt, wie der Körper nicht fliegen kann. Niemand hätte das meinem Mann erklären können. Niemand könnte es jetzt. Wenn Sie ihm mit noch so vielen Worten sagen würden: ›Champion will Ihnen Ihre Frau stehlen‹, dann würde er den Witz geschmacklos finden: Aber daß es mehr sein könnte als nur ein Witz – dieser Gedanke würde an seinem großen Kopf keinen Spalt finden, wo er eindringen könnte. Nun gut, John wollte heute abend kommen und uns bei der Aufführung zusehen, aber gerade als wir aufbrechen wollten, sagte er, er wolle nicht mit; er habe da ein interessantes Buch und eine Zigarre. Das erzählte ich Sir Claude, und das war sein Todesstoß. Dem Monomanen blieb nur noch Verzweiflung. Er erstach sich und schrie dabei wie ein Teufel, daß Boulnois ihn ermorde; er liegt dort im Garten, getötet durch seine eigene Eifersucht, Eifersucht hervorzurufen; und John sitzt im Wohnzimmer und liest ein Buch.«
Ein anderes Schweigen folgte, und dann sagte der kleine Priester: »In Ihrem ganzen so lebendigen Bericht gibt es nur einen schwachen Punkt, Mrs. Boulnois. Ihr Mann sitzt nicht im Wohnzimmer und liest ein Buch. Jener amerikanische Reporter hat mir erzählt, er sei an Ihrem Haus gewesen, und dort habe ihm der Butler gesagt, Mr. Boulnois sei doch noch zum Pendragon Park gegangen.«
Ihre leuchtenden Augen öffneten sich zu einem fast elektrischen Glanz; und doch schien das mehr Verblüffung denn Verwirrung oder Furcht zu sein. »Was meinen Sie denn damit?« rief sie. »Alle Dienstboten waren aus dem Haus, um die Aufführung zu sehen. Und einen Butler haben wir Gottseidank nicht!«
Father Brown fuhr auf und wirbelte halb herum wie ein absurder Kreisel. »Was, was?« schrie er, als sei er plötzlich ins Leben galvanisiert. »Sagen Sie – bitte – kann Ihr Mann mich hören, wenn ich zum Haus hinübergehe?«
»Sicher, die Dienstboten werden inzwischen zurück sein«, sagte sie verwundert.
»Gut, gut!« versetzte der Kleriker energisch und machte sich mit eilenden Trippelschritten auf den Weg zu den Parktoren. Einmal drehte er sich um: »Schnappen Sie sich besser den Yankee, oder ›John Boulnois Verbrechen‹ wird in Riesenschlagzeilen über die ganze Republik kommen.«
»Sie verstehen nicht«, sagte Mrs. Boulnois. »Ihm wäre das egal. Ich glaube nicht, daß er Amerika wirklich wichtig nimmt.«
Als Father Brown das Haus mit dem Bienenstock und dem schläfrigen Hund erreichte, führte ihn ein kleines sauberes Dienstmädchen in das Wohnzimmer, wo Boulnois lesend neben einer Lampe saß, genau wie sein Frau ihn beschrieben hatte. Eine Karaffe Port und ein Weinglas standen neben seinem Ellenbogen, und in dem Augenblick, da der Priester eintrat, bemerkte er den langen Aschekegel, der ungebrochen an seiner Zigarre war.
›Er ist mindestens seit einer halben Stunde hier‹, dachte Father Brown. Er sah wirklich so aus, als säße er da, wo er gesessen hatte, als das Abendessen abgeräumt wurde.
»Bleiben Sie sitzen, Mr. Boulnois«, sagte der Priester auf seine freundliche, prosaische Weise. »Ich werde Sie nur für einen Augenblick stören. Ich befürchte, daß ich in irgendwelche Ihrer wissenschaftlichen Studien einbreche.«
»Nein«, sagte Boulnois; »ich lese gerade ›Der blutige Daumen‹.« Er sagte das ohne Stirnrunzeln oder Lächeln, und seinem Besucher wurde an dem Manne eine tiefe und männliche Unbekümmertheit bewußt, die seine Frau Größe genannt hatte. Er legte den blutrünstigen gelben Reißer aus der Hand, ohne sich der Ungereimtheit auch nur so weit bewußt zu werden, daß er sie humorig kommentiert hätte. John Boulnois war ein großer Mann mit langsamen Bewegungen und einem mächtigen Schädel, teils
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