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Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit

Titel: Einfalt, Weisheit, Unglaeubigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gilbert Keith Chesterton
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ergraut und teils kahl, und einem derben breiten Gesicht. Er hatte einen schäbigen und sehr altmodischen Abendanzug an, an dem sich ein schmales Dreieck auf die Hemdenbrust öffnete: Er hatte ihn an jenem Abend noch in der ursprünglichen Absicht angezogen, seine Frau die Julia spielen zu sehen.
    »Ich werde Sie nicht lange vom ›Blutigen Daumen‹ oder anderen katastrophischen Angelegenheiten abhalten«, sagte Father Brown lächelnd. »Ich bin nur gekommen, um Sie nach dem Verbrechen zu befragen, das Sie heute abend begangen haben.«
    Boulnois sah ihn stetig an, aber ein roter Fleck begann, sich über seine breite Stirn auszudehnen; und er sah aus wie einer, der zum ersten Mal Verlegenheit verspürt.
    »Ich weiß, es war ein eigenartiges Verbrechen«, gab Brown mit leiser Stimme zu. »Eigenartiger vielleicht als Mord – für Sie. Die kleinen Sünden sind manchmal schwerer zu bekennen als die großen – aber deshalb ist es so wichtig, sie zu bekennen. Ihr Verbrechen wird von jeder Gastgeberin der Gesellschaft sechsmal in der Woche begangen: und doch empfinden Sie es, als klebe Ihnen eine unaussprechliche Verruchtheit an der Zunge.«
    »Man kommt sich«, sagte der Philosoph langsam, »wie ein verfluchter Narr vor.«
    »Ich weiß«, stimmte der andere zu, »aber oft muß man wählen zwischen sich wie ein Narr fühlen und einer sein.«
    »Ich kann mich selbst nur schlecht analysieren«, fuhr Boulnois fort; »aber als ich da in diesem Stuhl mit dieser Erzählung saß, war ich so glücklich wie ein Schuljunge an einem halben Feiertag. Da war Sicherheit, Ewigkeit – ich kann es nicht recht klarmachen… die Zigarren lagen in Reichweite… die Streichhölzer waren in Reichweite… der Daumen mußte noch viermal erscheinen, bis… das war nicht nur Frieden, das war Erfüllung. Dann läutete die Klingel, und für eine lange tödliche Minute glaubte ich, daß ich nicht aus dem Sessel hochkönne – buchstäblich, physisch, muskelmäßig nicht hochkönne. Dann schaffte ich es doch, wie ein Mann, der die ganze Welt stemmt, weil ich wußte, daß alle Dienstboten außer Hauses waren. Ich öffnete die Vordertür, und da stand ein kleiner Mann, den Mund zum Reden geöffnet und sein Notizbuch zum Aufschreiben geöffnet. Ich erinnerte mich des Yankee-Interviewers, den ich ganz vergessen hatte. Sein Haar war in der Mitte gescheitelt, und ich sage Ihnen, daß Mord – «
    »Ich verstehe«, sagte Father Brown. »Ich habe ihn gesehen.«
    »Ich habe keinen Mord begangen«, fuhr der Katastrophiker milde fort, »wohl aber einen Meineid. Ich habe gesagt, daß ich zum Pendragon Park hinübergegangen sei, und habe die Tür vor seiner Nase zugemacht. Das ist mein Verbrechen, Father Brown, und ich wüßte nicht, welche Buße Sie dafür auferlegen wollten.«
    »Ich werde keinerlei Buße auferlegen«, sagte der klerikale Gentleman, während er seinen schweren Hut und den Regenschirm aufsammelte, mit dem Ausdruck eines gewissen Vergnügens; »ganz im Gegenteil. Ich bin ausdrücklich hergekommen, um Sie aus der kleinen Buße zu entlassen, die sonst Ihrem kleinen Vergehen gefolgt wäre.«
    »Und aus welcher kleinen Buße«, fragte Boulnois lächelnd, »bin ich da so glücklich entlassen worden?«
    »Gehängt zu werden«, sagte Father Brown.
     

Das Märchen von Father Brown
     
    P ittoreskwaren Stadt und Staat Heiligwaldenstein, eines jener Spielzeugkönigreiche, aus denen bestimmte Teile des Deutschen Reichs immer noch bestehen. Der Staat war erst spät in seiner Geschichte unter preußische Vorherrschaft geraten – kaum 50 Jahre vor jenem herrlichen Sommertag, an dem Flambeau und Father Brown sich in seinen Gartenwirtschaften befanden und sein Bier tranken. Während der letzten Generation hatte es da nicht wenig Krieg und Willkürjustiz gegeben, wie gleich gezeigt werden wird. Doch wenn man sich Stadt und Staat nur so ansah, konnte man sich jenes Eindrucks der Kindlichkeit nicht erwehren, die ja die bezauberndste Eigenschaft Deutschlands ist – jene puppentheatrischen, väterlichen Monarchien, in denen der König so umgänglich zu sein scheint wie der Koch. Die deutschen Soldaten vor ihren unzähligen Schilderhäuschen sahen deutschem Spielzeug merkwürdig ähnlich, und die klar geschnittenen Zinnen des Schlosses sahen, vergoldet vom Sonnenschein, um so mehr vergoldetem Lebkuchen ähnlich. Denn es war das strahlendste Wetter. Der Himmel war von so preußischem Blau, wie es Potsdam nur hätte verlangen können, und doch glich es noch mehr

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